Mord mit kleinen Fehlern
als Beweisstück A gezeigt worden waren. Sein Motelzimmer war eine Kopie seines Schlafzimmers in Los Angeles. Am meisten schockierten sie die ausgebreiteten Straßenkarten, auf denen ihre Wohnung und ihr Büro markiert waren, sowie Orte, an denen sie aß oder einkaufte. Anne hatte den Eindruck, als wäre sie in eines der Beweisstücke seiner Verhandlung getreten, und diese Erkenntnis ließ sie erstarren. E s gescha h ei n zweite s Mal.
Mary schloss die Tür hinter ihnen, eilte zum Fenster und schob den hauchdünnen Vorhang etwas beiseite. »Ich bleibe hier und halte Ausschau, falls er zurückkommt. «
Judy ging an Anne vorbei zum Bett. »Was ist das für Zeug. Juristische Unterlagen?«, fragte sie und nahm ein Papier hoch. »Tatsächlich. Das ist unser letztes Schriftstück in Sachen Chipster.« Sie ging es erstaunt durch, dann legte sie es zur Seite und nahm einige andere Papiere zur Hand. »Das sind all unsere Eingaben im Chipster-Fall. Kopien der Klageschrift, die Erwiderung, sogar die Beweismitteleingaben und die komplette Prozessliste. Er hat unsere kompletten Unterlagen - als wären es öffentliche Dokumente. «
Anne zwang ihre Füße, sich in Bewegung zu setzen und zum Schreibtisch zu gehen. Zeitungsausschnitte über Chipster.com bedeckte n di e Resopaloberfläche , jede r sorgfälti g aus eine r Zeitun g ausgeschnitten . NACKTE R MAN N VO R GERICHT lautet e ein e Schlagzeile , un d Ann e krümmt e sich innerlich. Sie ging die Artikel durch, und es war, als ob Kevin wirklich alle Zeitungen abgegrast hätte; er besaß jeden noch so kleinen Artikel über ROSATO & PARTNER, er hatte die Beschreibungen der Anwälte sowie die des Ehepaars Dietz. Anne nahm eine zur Hand. Es war ein Farbausdruck, aus dem Internet. Wie hatte Kevin denn das fertig gebracht? Sie schob die Zeitungsausschnitte beiseite. Darunter war ein Laptop begraben, angeschlossen an einen portablen Drucker.
Judy hatte sich zwischenzeitlich zum Bett vorgearbeitet und hielt ein weiteres Stück Papier in der Hand. »Seht euch das an. Es ist eine Straßenkarte, übersät mit Kringeln.« Sie schaltete die billige Lampe neben dem Bett ein und studierte die Karte. »Annes Haus, die Kanzlei, das Gericht. Krank, aber ordnungsliebend.«
Anne schauderte. »Ich will das alles nicht noch einmal durchleben.«
Judy sah auf, ließ die Karte in ihrer Hand in vorgefaltete Abschnitte zusammenfallen. »Ich bin mir nicht sicher, ob es hier noch um dich geht«, sagte sie. Ihr Gesicht unter der Maske aus Make-up war ernst. »Das Haus von Beth Dietz in Powelton Village ist ebenfalls umkringelt; und neben einem Kringel mitten in der Fifteenth Street steht ''Beth isst hier zu Mittag''.«
»Wie meinst du das?« Anne ging zum Bett, wo Judy ein Foto des Ehepaars Dietz in der Hand hielt, wie es nach der Vorverhandlung das Gerichtsgebäude verließ.
»Es gibt hier jede Menge Fotos von Beth. Sogar eines von einer Website, die Leuten hilft, ehemalige High-School-Freunde zu finden. Er muss sie gründlich recherchiert und sich mit einem falschen Namen angemeldet haben.«
»Ich kenne diese Website«, sagte Anne und betrachtete die Zeitungsfotos. »Du hast Recht. Es gibt fast so viele Fotos von Beth Dietz wie von mir. Mich hat er über diese Website auch recherchiert.«
Judy wollte gerade ein Foto auf das Bett zurücklegen, als sie erstarrte. »O mein Gott, seht euch das an.« Sie nahm ein weiteres Foto von Beth Dietz zur Hand und zeigte es den anderen beiden. Auf diesem Foto hatte er ein rotes Herz um ihr Gesicht gemalt.
Anne erstarrte. Sie hatte es bis zu diesem Augenblick vergessen. »Das hat er mit meinen Fotos auch immer gemacht. «
Judy drehte sich zu ihr. »Was geht hier vor sich, Anne? Hat er sich jetzt in Beth verliebt, weil er dich für tot hält? Sieht aus, als würde er die Seiten wechseln.«
»Es ist bekannt, dass Erotomanen ihre Obsessionen gelegentlich auf eine andere Person verlagern. « Anne spürte, wie ein Schauder ihren Rücken hochkroch. »Wenn er glaubt, dass er mich getötet hat, dann lässt er mich vielleicht los. Möglicherweise heftet er sich von nun Beth Dietz an die Fersen.«
»Also liebt er jetzt sie.«
Anne nickte. »Ja, aber für einen de Clérambault, stellt sich das anders dar. Genau umgekehrt, erinnert ihr euch? Kevin ist ein Erotomane, also glaubt er, dass Beth Dietz ihn liebt.«
»Aber sie ist verheiratet«, sagte Judy verwirrt.
»Darauf kommt es nicht an«, erklärte Anne. »Er ist von einer wahnhaften Idee besessen. Keine
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