Mord mit kleinen Fehlern
Bennie trat nach links, aus Annes Sichtfeld heraus. »Wisst ihr beide das zufällig? Carrier? DiNunzio?«
Anne beugte sich weiter über das Geländer, und Mel versteifte sich erneut. Er wollte um keinen Preis nach unten, in die Nähe des blutverschmierten Eingangsbereichs. Anne erhaschte einen Blick auf Judy in ihrem heiß geliebten Overall, einem frischen gelben T-Shirt und mit einem zitronengelben Halstuch.
Judy schüttelte den Kopf. »Nein. Tut mir Leid. Ich wusste gar nichts von Satorno, bis du mir heute von ihm erzählt hast. «
Plötzlich unterbrach ein schluckaufartiges Schluchzen die Unterhaltung, ein Geräusch, das so emotional war, dass es in der Öffentlichkeit schon fast peinlich schien. Schlagartig fuhr Bennie herum, ebenso Judy, gerade als ein zweites Schluchzen von rechts erklang, wo Mary stehen musste. Anne konnte nicht anders, als sich weit über das Geländer zu beugen, und was sie sah, schnürte ihr vor Überraschung die Kehle zu:
Mary weinte - eine zierliche, eingefallene Gestalt, tief in Annes Sofa. Sie hatte das Gesicht in den Händen vergraben, und ihre schmalen Schultern bebten unter den Schluchzern. Ihre Haare waren völlig zerzaust, und den Khakishorts und der ärmellosen Bluse mangelte es an der üblichen Makellosigkeit.
»Schon gut, Mary«, tröstete Judy, ging zu ihr und legte einen Arm um ihre Freundin. »Sie kriegen diesen Kerl, du wirst schon sehen.«
»Ich ... kann es einfach nicht begreifen.« Marys Stimme zitterte unter Schluchzern. Ihre Wangen wirkten erhitzt, und auf ihrem Hals zeichneten sich rote Flecken ab. »Ich kann einfach nicht ... glauben, dass das passiert ist. Es ist so furchtbar, dass ... sie umgebracht wurde. Wie sie umgebracht wurde. «
Anne war von den Reaktionen ihrer Kolleginnen ebenso verwirrt wie von ihren eigenen. Mary DiNunzio, die mich nicht mal richtig kennt, weint um mich. Und aus irgendeinem Grund fühle ich mich jetzt verdammt mies.
Bennie ging zu Mary und legte die Hand beruhigend auf deren Schulter. »Mary, vielleicht sollten wir dich in die Kanzlei zurückbringen.«
»Ist schon okay, es geht mir gut.« Marys Schluchzer klangen ab. Aus ihrem Gesicht sprach Schmerz, und sie presste die Handflächen gegen die Wangen, als ob sie sie kühlen wollte. »Aber hier ist überall Blut. Und es ist ih r Blut!«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Judy und strich über Marys Rücken. »Willst du draußen warten? Warum wartest du nicht draußen?« Bennie drehte sich kurz zu den Detectives um. »Könnten Sie uns ein paar Minuten allein lassen?«
»Klar«, erwidertern sie dankbar und unisono. Gleich darauf ging die Haustür auf, ein Viereck aus Licht tauchte auf dem Wohnzimmerteppich auf, und der Lärm von draußen schwappte herein. Die Detectives schlossen die Tür nicht ganz hinter sich und blieben am Kopfende der Treppe stehen. Gleich darauf roch Anne Zigarettenrauch, der durch die offene Haustür waberte. Sie schlich näher zum Treppenabsatz, und ihr Blick kehrte zu Mary zurück.
»Siehst du es denn nicht, Bennie?« Mary wies mit der ausgestreckten schmalen Hand auf den Eingangsbereich, und Anne sah, wie ihre Finger zitterten. »Alles voller Blut. Und wir drei stehen hier und reden, als ob es nur irgendein Fall wäre. Aber wir sprechen hier von Anne.« Ihre Stimme wurde lauter, überschlug sich vor Angst beinahe. »Anne Murphy wurde hier getötet! Keine Mandantin, sondern eine von uns! Und sie ist tot! Ermordet! Habt ihr beide das vergessen?«
Wau! Auf ihrem Beobachtungsposten war Anne von diesem Ausbruch wie erstarrt. Es sah Mary überhaupt nicht ähnlich, jemanden zu kritisieren, schon gar nicht Bennie und Judy. Die beiden wirkten ebenfalls völlig versteinert.
Judy hörte auf, Marys Rücken zu tätscheln. »Wir wissen, dass es ihr Blut ist, Mary. Das haben wir nicht vergessen. Wir sind hier, um herauszufinden, wer das getan hat, und um ihn dafür zur Verantwortung zu ziehen.«
»Was würde das schon bringen?«, rief Mary. »Wenn wir den Kerl finden, kommt sie dadurch auch nicht zurück. Sie ist tot, und wisst ihr, was? Wir haben sie überhaupt nicht gekannt. Ein Jahr lang haben wir mit ihr zusammen gearbeitet, aber wir haben sie nie richtig kennen gelernt. Ich bin mit Jack nur zwei Monate ausgegangen, aber von ihm wusste ich wesentlich mehr!« »Wir haben viel zu tun«, verteidigte sich Judy. »Wir hatten gearbeitet. Erst an dem Dufferman-Fall, dann an Witco. Vielleicht bist du deshalb so emotional, wegen deiner Trennung ...«
»Nein, das ist es
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