Mord mit kleinen Fehlern
ausbrechen durfte. Anne zwang sich, tief zu atmen, bis sich ihr Herzschlag wieder normalisierte. Plötzlich war sie allein in der lärmigen, verrauchten Menschenmenge. Sie sah an der Fassade des Bürogebäudes hoch. Eine Sekunde später gab sie eine Nummer in ihr Handy ein.
Mary musste auf ihren Anruf gewartet haben.
»Anne, wo bist du? Bist du hier?«
»Hilfe!«, war zunächst alles, was Anne sagen konnte, dann riss sie sich zusammen. »Ich stehe draußen. Kannst du mich am Wachmann vorbeilotsen?«
»Es ist Herb, und wir haben ihm gesagt, wir erwarten eine Botin, die etwas merkwürdig angezogen ist. Trägst du noch deinen Bart?«
»Ja.«
»Ich komme nach unten.«
Got t se i Dank . Anne klappte ihr Handy zu und inspizierte instinktiv jeden Passanten. Ihr Magen krampfte sich vor Furcht ganz zusammen. Da. Ein blonder Mann, mit Kevins Haarfarbe. Er hatte ganz kurze Haare, als ob er bis vor kurzem im Gefängnis gewesen wäre. Anne hätte beinahe losgeschrien, aber in dem Moment legte der blonde Mann seinen Arm um die Frau neben sich. Auf seinem Bizeps war Sempe r F i tätowiert. Ein Marineinfanterist, kein Gefängnisinsasse. Nicht Kevin.
Anne bahnte sich ihren Weg durch die Presse und trat durch die Drehtür ins Innere des Gebäudes und in die klimatisierte Kälte einer riesigen Marmorlobby mit restaurierten Stuckwänden. Anne holte tief und erleichtert Luft, aber die Sicherheitstheke aus Mahagoni erhob sich wie eine unüberwindliche Hürde vor dem Zugang zum Aufzug. Auch wenn Mary angerufen hatte, damit Anne durchgelassen wurde, bestand immer noch die Möglichkeit, dass der Wachmann sie erkennen würde, denn es war der »heiße Herb«. Sie hatte ihr Gesicht maskiert, nicht aber ihre Brust, und auf mehr achtete er nicht. Dank ihm hatten ROSATO & PARTNER die sichersten Brüste in ganz Philadelphia.
Herbs Blick konzentrierte sich auf den Schriftzug Unabhängig e Frau , als sie an die Theke trat. »Hallo, Schätzchen«, sagte er, mit einem sexy Grinsen, wie er hoffte. Er roch nach Aramis , und seine blaue Uniform schmiegte sich eng an seinen kurzen, untersetzten Körper. Er trug den Gürtel seiner Hose weit oben, wie Fred Mertz aus 1 lov e Lucy . »Sie trauen sich was: kommen zu einem Bewerbungsgespräch in Uncle- Sam-Verkleidung ... «
»So bin ich an den Reportern vorbeigekommen, oder nicht?« Anne hielt den Kopf gesenkt, beugte sich über den schwarzen Spiralhefter und kritzelte 36C auf die vorgegebene Linie. »Falls ich hier eingestellt werde, will ich nicht, dass sie mich erkennen und mir überallhin folgen.«
»Warum nehmen Sie die Verkleidung nicht ab? Sie sind jetzt drin.«
»Ich fühle mich als Ikone ganz wohl.«
Plötzlich öffneten sich die Aufzugstüren mit einem diskreten Pling, und Mary stürmte wie die Kavallerie hinüber. Sie konnte ihr Lächeln nicht unterdrücken. »Kleider machen Leute?«
»Sie müssen Mary DiNunzio sein.« Anne streckte eine Hand aus, als ob sie sich noch nie getroffen hätten. Plötzlich gab es hinter ihr am Eingang einen Tumult. Sie drehte sich um und sah, wie eine vertraute Figur durch die Drehtür kam, zusammen mit einer Gruppe von Menschen. O nein. Jetzt steckte Anne wirklich in Schwierigkeiten.
8
Anne floh in die hinterste Ecke des Aufzugs, als Matt Booker mit seiner Mandantin Beth Dietz und ihrem pferdeschwänzigen Ehemann Bill in die Kabine trat. Zu seiner Rechten stand Janine Bonnard, eine hübsche, junge Frau in einem grauen Gap-Hosenanzug. Sie sollte heute ihre Aussage machen. Anne versteckte sich unter ihrem Zylinder und betete, dass Matt sie nicht erkennen würde. Doch er schien so beschäftigt, dass er sie nicht einmal bemerkt hätte, wenn sie Godzilla wäre.
Anne warf ihm aus den Augenwinkeln einen Blick zu. Dunkle Ringe hatten sich unter seinen normalerweise leuchtenden Augen breit gemacht, seine sonst ausladenden Schultern in dem blauen Anzug wirkten mit einem Mal ein- gefallen, und sein dichtes Haar war für eine Zeugenaussage eigentlich nicht ordentlich genug gekämmt. Anne fragte sich, ob er wegen ihr so durcheinander war. Den Aktenkoffer in der Hand, sah er zu Mary.
»Mary, es tut mir so Leid wegen Anne«, sagte er. Die Trauer ließ seine gewöhnlich so selbstsichere Stimme tiefer klingen. »Haben Sie seit unserem Gespräch noch etwas von der. Polizei gehört? Gibt es noch keine heiße Spur hinsichtlich ihres ... Mörders?«
O mein Gott. Annes Gesicht stand in Flammen. Sie fühlte sich schrecklich, als sie ihn so sah.
»Noch nicht«, erwiderte
Weitere Kostenlose Bücher