Mord mit Schnucke: Heidekrimi (German Edition)
konzentrieren.
17
Zwei Stunden später saß Hanna immer noch an ihrem Schreibtisch auf der Wache und war keinen Schritt weitergekommen. Sosehr sie auch grübelte, ihr Traum-Anrufer entzog sich ihr. Mal glaubte sie, ihn wieder genau vor sich zu sehen, und sie ahnte, es war … nein! Doch nicht! Sein Gesicht, im Traum so deutlich, blieb verschwommen. Und der Name, den er genannt hatte. Verdammt! Er hatte ihn doch genannt, oder nicht? Es war, ja … es war …
»Teufel auch!«, rief Hanna und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch.
Da träumte sie schon mal etwas wirklich Wichtiges, und dann konnte sie sich nicht mehr daran erinnern. Das Leben war ungerecht!
Vorn auf dem Tresen klingelte das Telefon.
Hanna unterdrückte ein Gähnen, als sie sich meldete. In der nächsten Sekunde war sie hellwach.
Der Rechtsmediziner aus Hamburg rief an, um ihr die Ergebnisse der Autopsie mitzuteilen. Gespannt hörte Hanna zu, aber mit jedem Wort des Experten schwand ihre Hoffnung auf einen wertvollen Hinweis. Heiner Hansen hatte unter einer Fettleber und zwei verengten Herzkranzgefäßen gelitten. Alles andere als ein gesunder Mann also.
Ohne den Kopfschuss hätte er aber bei besserer Ernährung und sorgfältiger Vorsorge noch ein gutes Leben haben können, erklärte der Rechtsmediziner. Zumindest noch einige Jahre.
»Die Mordwaffe war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein großkalibriges Gewehr, mehr kann ich dazu nicht sagen. Bedauere, Frau Kommissarin.«
»Das bedeutet«, fasste Hanna zusammen, »dass die Kugel aus jeder der eingesammelten Jagdflinten abgefeuert worden sein könnte.«
»Korrekt. Oder aus einer anderen, die Sie nicht requiriert haben.«
»Das hilft mir nicht weiter.«
»Tut mir leid. Ich habe Ihnen ja schon gestern gesagt, dass wir ohne die Kugel nicht sehr weit kommen werden. Aber etwas habe ich noch für Sie.«
»Und was?«, fragte sie ohne große Hoffnung. Viel konnte es nicht sein.
»Grob geschätzt wurde der Schuss aus fünfzehn bis zwanzig Metern Entfernung abgefeuert. Dem Mörder ist es also gelungen, sich sehr dicht an sein Opfer heranzuschleichen.«
Hannas Hoffnung schwand gänzlich. Damit konnte sie nicht viel anfangen. War ja wohl klar, dass man in einem Wald mit dichtem Baumbestand nicht aus großer Distanz treffen konnte.
Sie bedankte sich und legte auf.
Eine Weile blieb Hanna an den Tresen gelehnt stehen und überlegte, ob sie nicht doch irgendetwas Wertvolles aus dem Gespräch ziehen könnte.
Nein. Da war nichts. Mist!
Lautes Hufgetrappel ließ sie aufschrecken.
Das klang nicht nach den müden Kleppern von Heinz-Otto, das klang außerordentlich temperamentvoll.
Geradezu wild.
Dazu schallte Westermanns Stimme durch die offene Tür der Wache herein: »He, mein Dicker, immer mit der Ruhe! Brr! Brr!«
Hanna stürmte nach draußen.
Andere Leute taten es ihr nach. Aus den Häusern, dem Gasthof Erika, der Apotheke, der Bäckerei Möller und dem Tante-Emma-Laden strömten die Neugierigen auf den Dorfplatz. Innerhalb von Sekunden war mindestens halb Hasellöhne versammelt und genoss das Schauspiel.
Ein Schimmel trabte um den Dorfbrunnen herum, und zwar in beängstigendem Tempo. Hoch flogen die Knie, weit spritzte der Schaum aus dem Maul, rhythmisch wogte der dicke Bauch von einer Seite zur anderen. Auf seinem Rücken hüpfte Fritz Westermann auf und ab, machte ein verzweifeltes Gesicht und zog mit aller Kraft an den Zügeln.
Ohne Erfolg. Weiter ging der wilde Trab, entgegen dem Uhrzeigersinn und so knapp an den Findlingen vorbei, dass Westermanns linkes Bein jeden Moment zerschmettert werden konnte.
»Brr, Alfred! Brr!«
Alfred? Wer sollte das sein? Verständnislose Blicke wurden getauscht, bis jemand sagte: »Das ist doch dem Egon sein Gaul. Den hat die Eva ihm dagelassen. Als Abschiedsgeschenk. Der steht jetzt bei seinen Kühen und frisst sich voll.«
»Fett ist er ja!«, sagte ein anderer.
»Aber sauberer, seit ich ihn das letzte Mal auf der Kuhweide gesehen hab.«
Stimmt, dachte Hanna. In der Nachmittagssonne schimmerte Alfred strahlend weiß. Und die Löcher im Fell fielen gar nicht mehr so auf, was aber auch an der Geschwindigkeit liegen mochte, mit der er seine engen Kreise zog.
Wieso hörte er bloß nicht auf zu traben? Was hatte Westermann mit ihm angestellt?
»Den kriegt der Fritz nicht zum Stehen«, orakelte Bäckermeister Möller. »Ich kenne mich aus. Seht ihr? Der hat das Trensengebiss fest zwischen seinen Backenzähnen eingeklemmt. Verbeißen nennt man so was. Da
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