Mord nach Drehbuch
Polizei schnüffelt sowieso schon überall herum, sogar obduziert haben sie ihn. Ohne Ergebnis. Ein Unfall, es war ein beschissener Unfall. Können wir also bitte aufhören, die Sache auf Teufel komm raus schlimmer zu machen, als sie ohnehin schon ist?«
Zum bewegten Bild hat sich der Ton gesellt. Nicht gerade eine Verbesserung. Alceo Pisu hat einen harten Bariton, der das ganze Zimmer erfüllt, man hört, dass er gewohnt ist, herumzukommandieren. Sandra lässt sich jedoch nicht einschüchtern.
»Du führst dich mal wieder auf wie die Axt im Wald, Alceo. Ich habe mit allen gesprochen, mit Marilena, mit Alice, alle waren einverstanden, nur du musst mich vor meiner Freundin blöd dastehen lassen, die ihren freien Tag opfert, um euch ein paar Fragen zu stellen.«
Sie sieht Nelly an. »Entschuldige, meine Liebe, er kann nichts dafür, dass er so ein Trampeltier ist.«
Alceo bricht in Lachen aus, kommt auf Nelly zu und streckt ihr in einer wie einstudiert wirkenden, theatralischen Geste die Hände entgegen.
»Meine liebe … Nelly?« – »Dottoressa Nelly Rosso.« – »Meine liebe Dottoressa Rosso, entschuldigen Sie meine Ehrlichkeit, die stets hart an der Grenze zur Unverschämtheit ist. Ich bin Alceo Pisu, Anselmos Bruder. Ich habe gewiss nichts gegen Sie, im Gegenteil, es ist sehr freundlich von Ihnen, sich den schönen Sonntag mit vollkommen Unbekannten zu versauen, die dazu noch in Trauer sind, ein Riesenspaß! Aber die Frauen der Familie sehen überall Gespenster und Verschwörungen. Ich hingegen nehme das Schicksal, wie es ist. Anselmo ist von uns gegangen, weil seine Zeit gekommen war, das ist alles. Friede seiner Seele, das Leben geht weiter, lasst es uns genießen, solange wir können.«
Anselmos Tochter Serena bricht wiehernd in Tränen aus, die Mutter presst die Lippen zusammen. Nelly macht einen Schritt in das Zimmer, während Marilena Pizzi sich vom Sofa erhebt und mit ausgestreckter Hand auf sie zukommt. Fast die identische Geste wie von Alceo. Sind in dieser Familie alle Schauspieler?
»Eigentlich war es meine Idee, Sie einzuladen. Ich bin Marilena Pizzi. Ich möchte mich für meinen Bruder entschuldigen, er muss immer den Grobian spielen und im Mittelpunkt stehen, ohne geht es nicht, die anderen sind ihm egal. Verzeihen Sie ihm, auch wenn er es nicht verdient. Herzlich willkommen und danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.«
Mit der Schnelligkeit einer Schlange fährt sie zu ihrem spöttisch dreinblickenden Bruder herum.
»Wenn dich das Ganze nicht interessiert, mein lieber Alceo, wieso ziehst du nicht einfach Leine? Von uns wird dich bestimmt keiner vermissen.«
Marilenas Tonfall ist sanft und freundlich. Alceo zuckt nur grinsend mit den Achseln.
»Tja, also … bei all diesen Weibern, die mir in den Rücken fallen, habe ich wohl keine Chance, ich ergebe mich. Gnade, Erinnyen, entmannt mich nicht.« Er dreht sich um und ruft in Richtung einer zweiten Tür: »Magraja, wo zum Teufel steckst du? Komm her, wir wollen was trinken.«
Von der herrischen Stimme gerufen – in so einem Ton ist man früher allenfalls mit seinen Dienstboten umgesprungen, denkt Nelly –, erscheint eine hochgewachsene, schlanke Frau in der Tür, jedoch mit hängenden Schultern und leicht zur Seite geneigtem Kopf, was sie kleiner aussehen lässt.
Als wollte sie sich unsichtbar machen.
Sie ist irgendwas zwischen dreißig und vierzig, ihre Haut ist glatt, ohne eine einzige Falte, bemerkt Nelly, von ihrer Erscheinung fasziniert. Sie hat ein blasses Gesicht mit hohen Wangenknochen, eine wohlgeformte Nase, zwei unglaublich grüne Augen und einen Mund, der aussieht wie eine Wunde. Das hellbraune, straff zurückgekämmte Haar ist zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trägt einen schwarzen Pulli und einen grauen Rock mit schwarzen Streifen, ihr Gesicht ist vollkommen ausdruckslos.
Das muss die zweite Schwester sein, Maria Grazia – Magraja? Selbst in dieser Aufmachung ist sie die Schönste der ganzen Familie. Die anderen sind alle irgendwie grobschlächtig, vulgär, aber sie …
»Was möchtet ihr trinken? Tee? Kaffee? Es ist alles fertig, ich bring’s euch. Und für dich, Alceo«, der Anflug eines vielleicht ironischen, vielleicht resignierten Lächelns huscht über ihre Züge, »gibt es Port, wenn du willst.« Alceo nickt, die anderen entscheiden sich für Tee oder Kaffee, und sie verschwindet wie eine Komparsin von der Bühne.
Inzwischen fragt sich Nelly, was sie eigentlich in diesem Käfig voller Narren verloren
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