Mord ohne Leiche
ist eher intuitiv als wissenschaftlich. Die
meisten von uns improvisieren, lassen die Dinge sich entwickeln. Diejenigen,
die erst analysieren müssen, was sie tun wollen, besitzen zumeist nicht viel
von dem Flair, auf das man aufbauen kann. Aber Tracy hat das Wissenschaftliche
mit dem Intuitiven verbunden — mit glänzendem Ergebnis.«
»Glauben Sie, sie wäre einfach
abgesprungen, wenn sie so versessen war auf Erfolg? Alles, was ich über sie
weiß, deutet darauf hin, daß sie kurz vor dem Durchbruch stand.«
Er nahm die Füße von den Pedalen und
ließ sie weiterdrehen, bis sie anhielten. Dann stieg er vom Rad, setzte sich
mit einem Schenkel auf eine Schreibtischecke und sah mich halb von der Seite
an. »Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, sagte er. »Ich wünschte beim
Teufel, ich könnte es.«
»Irgendeine Idee?«
»Keine.«
Ich lehnte mich auf seinem Stuhl zurück
und legte die Füße auf eine aufgezogene Schublade. »Ich habe versucht, mir die
typischen Gründe vorzustellen, weshalb eine zweiundzwanzig Jahre alte Frau
verschwinden könnte«, sagte ich. »Entweder ist sie drogenabhängig, schwanger
oder hat Selbstmordabsichten. Sie sieht sich und ihr Leben in einer Sackgasse,
hat Ärger mit den Freunden oder der Familie und möchte ihnen weh tun. Aber
keines dieser Motive paßt zu dem, was ich über Tracy weiß.«
»Nein.«
»Mir ist noch ein anderer Grund
eingefallen: Vielleicht sollten ihr Verschwinden und ihre Entführung als
Publicity-Nummer inszeniert werden, um ihre Karriere voranzutreiben. Aber das
geht auch nicht, denn wenn etwas dabei hätte herauskommen sollen, dann hätte
sie schon längst wiederauftauchen müssen.«
»Richtig. Jetzt ist das ein uralter
Hut.«
»Es sei denn, irgend etwas ist
schiefgegangen bei der Nummer.«
»Zum Beispiel?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Was bleibt also?«
»Tracys Mutter hat den Eindruck, irgend
etwas habe sie belastet, bevor sie verschwand«, sagte ich. »Tracy hat
angedeutet, sie glaube, sie habe sich zum schlechten verändert.«
In Larkeys Augen flackerte Interesse
auf.
Ich fragte ihn: »Wissen Sie, worum es
sich dabei gehandelt haben könnte?«
Er stand auf und ging zu seinem
Hometrainer zurück, trat aber nicht wieder in die Pedale, sondern balancierte
auf dem Sitz, die Füße auf dem Lenker. »Vielleicht hat das Geschäft ihren
jugendlichen Idealismus zerstört.«
»Es klang nach mehr. Sie sprach von
einer ›Unterlassungssünde‹ — von einer Situation, in der sie sich nicht richtig
verhalten und jemanden, den sie mochte, verletzt habe.«
Er schwieg und preßte gedankenversunken
die Lippen zusammen. »Miss — wie heißen Sie?«
»McCone, aber Sie können mich Sharon
nennen.«
»Sharon, ein Club wie dieser ist eine
kleine Welt für sich... Eine Version der wirklichen Welt in verkleinertem
Maßstab, aber die Dinge geschehen mit weit höherer Intensität. Die meisten
meiner Leute sind jung, und eine ganz nette Anzahl von ihnen ist äußerst
kreativ. Wenn es Aufregung gibt, Dramen, Intrigen, dann blühen sie auf — und
wenn sie nicht von selbst entstehen, dann werden sie heraufbeschworen. So
entstehen Unterströmungen, Gerüchte, Geheimnisse. Jeder hat irgend etwas, aber
keiner läßt den anderen teilhaben, denn gewöhnlich sind es ziemlich profane
Dinge. Und wenn sie herauskommen, ist der Spaß vorbei.«
Larkey machte eine Pause, bevor er
weitersprach: »Ich bin das gewohnt. In Hollywood geht es genauso zu, wenn auch
die Stange dort höher liegt. Also versuche ich zu ignorieren, was hier vorgeht.
Ich habe andere Interessen, die Potrero Medical Clinic zum Beispiel. Ich halte
mich aus den Vorgängen hier heraus, und im großen und ganzen versucht auch
niemand, mich hineinzuziehen. Aber kurz bevor Tracy verschwand, spürte ich, daß
hier irgend etwas nicht stimmte. Ich konnte nicht sagen, was es war, aber die
Atmosphäre war ausgelassener als üblich.«
»Können Sie das genauer erklären?«
»Es war eine noch höhere Stufe der
Intensität — und ich hatte kein gutes Gefühl dabei.«
»Betraf das alle Ihre Leute oder nur
bestimmte?«
Er dachte nach. »Also, wenn so etwas
losgeht, dann breitet es sich aus wie ein Buschfeuer. Aber wenn ich die Namen
derer nennen sollte, die es am stärksten erwischt hatte, dann würde ich sagen,
Tracy und unser Barkeeper Marc Emmons.«
»Tracys Freund? Nicht der Bursche, der
heute an der Bar ist?«
»Gott, nein. Marc arbeitet immer noch
hier, aber das ist er nicht.«
»Wer ist es?«
»Marc ist
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