Mord ohne Leiche
weiterverfolgt, weil er sie für so etwas wie einen Wandervogel gehalten
hatte.«
»Zufall?«
»Könnte sein. Aber es gefällt mir
nicht. Ich rufe Larkey an.«
Ich stand auf und folgte der
Telefonschnur am Fußboden. Sie führte mich in die Küche, wo ich den
dazugehörigen Apparat auf dem Abtropfbrett neben dem Spülbecken fand. Ärgerlich
griff ich nach dem Hörer. Die langen Strippen an den Telefonen im All Souls
gingen mir schon seit Jahren auf die Nerven — erstens, weil sie sich dauernd
verhedderten, und zweites, weil die lieben Mitarbeiter die Apparate stets gern
gerade dort stehenließen, wo sie aufgelegt hatten. Seit der Einführung des
schnurlosen Telefons plädiere ich dafür, daß einige unserer besonders ruhelosen
Telefonierer so einen Apparat bekommen, doch bislang hat niemand auf mich
gehört. So werde ich wohl bis in alle Ewigkeit den Telefonschnüren folgen
müssen, wie draußen im Wald, wo einen Krümelspuren an ganz seltsame Orte
führen.
Larkey meldete sich im Café Comédie. Er
klang niedergeschlagen. »Ich habe gehört, daß Sie draußen in Napa waren, um bei
der Identifikation zu assistieren«, sagte ich.
»Das mindeste, was ich tun konnte. Und
es war eine große Erleichterung für mich, daß es nicht Tracys Leiche war. Aber
bei Gott, was für eine bedrückende Erfahrung. In meinem abwechslungsreichen
Leben war mir das bisher erspart geblieben. Ich hoffe, so etwas passiert mir
nie wieder.«
»Das kann ich gut nachfühlen. Jay, ich
weiß, daß meine Assistentin Sie heute früh schon über Lisa McIntyre befragt
hat, aber ich hätte noch ein paar zusätzliche Fragen.«
»Sicher. Raus damit.«
»Hat einmal jemand nach ihr gefragt, nachdem
sie die Stadt verlassen hatte — Angehörige oder Freunde zum Beispiel?«
»Nicht, daß ich wüßte. Sie war nicht
lange genug hier, um enge Freundschaften zu schließen, und was die Familie
angeht, hat sie bloß erwähnt, sie stehe seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr auf
eigenen Beinen. Sie stammte aus Oklahoma, aber in den letzten Jahren war sie
wohl unterwegs gewesen — Boston, New York, L. A. Die üblichen Orte, zu denen es
die Möchtegern-Comedy-Akteure zieht.«
»War sie denn gut als
Comedy-Spielerin?«
»Eigentlich nicht. Wie in allen Zweigen
des Showbusineß muß man auch bei der Comedy Disziplin haben, und daran fehlte
es Lisa. Ich war eigentlich gar nicht überrascht, als sie plötzlich auf und
davon war. Sie gehörte zu den Menschen, die ständig auf der Suche nach der
vermeintlichen großen Chance sind.«
»Und Sie sagen, sie hatte keine engen
Freunde. Was ist mit Liebhabern?«
»Lisa war Lesbierin, aber ich habe sie
nie mit einer Frau gesehen.«
Mir fiel das Video ein, daß sich George
früh am Morgen angesehen hatte. Da hatte Tracy eine lesbische Kellnerin namens
Ginny dargestellt. War Lisa das Vorbild für diese Rolle gewesen?«
»Wie sieht Lisa aus?« fragte ich.
»Groß, dünn, hellbraunes, langes,
lockiges Haar. Recht attraktiv.«
»Noch eine Frage, dann lasse ich Sie in
Ruhe. Haben Sie auch ihre Zähne einmal behandelt?«
Larkey zögerte. Offenbar überraschte
ihn die Frage. »Tatsächlich, ja.«
»Und haben Sie die Unterlagen noch?«
»Ja.« In seiner Stimme klang nun ein
fragender Ton mit.
»Dann wird man sich aus Napa County
wohl wieder an Sie wenden und Sie darum bitten.«
»Sie meinen, es war Lisa da
oben?«
»Es lohnt sich jedenfalls, dem
nachzugehen.«
»Hm.« Er zögerte. »Jetzt, wo Sie es
erwähnen — natürlich kann sich kein Zahnarzt an die Zähne aller seiner
Patienten erinnern — könnte es sein, daß Lisas und Tracys Zahnstatus sich gar
nicht so sehr voneinander unterschieden. Wenig Löcher, keine Kronen, keine
Fehlstände. Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum ich anfangs meinte,
Tracy vor mir zu haben. Es gab kleine Unterschiede, aber nicht viele.«
»Ich rufe in Napa an und sage dort
Bescheid, man soll sich mit Ihnen in Verbindung setzen.« Ich bedankte mich und
legte schnell auf, bevor er mir noch eine zeitraubende Frage stellen konnte.
Jack hatte das Ende meines Gesprächs
aus der Nähe mitgehört. Er sagte nichts, als ich die Polizei in Napa anrief und
nach Stan Gurski fragte. Ich war nicht sicher, ob die Überlegungen, die ich
Gurski vorzutragen hatte, viel Sinn ergaben, doch es dauerte gar nicht lange,
bis er mich bat, Lisa McIntyres Unterlagen bei Larkey anzufordem. Er wollte
mich auch sofort vom Ergebnis der medizinischen Untersuchung unterrichten.
Es war jetzt eine ganze Weile
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