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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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Tochter Alida an, setzte ihn als
Erben ein und starb gleich darauf. Der hinterlistige Redland hatte jedoch alles
belauscht und entführte Alida, um selbst an das Erbe zu gelangen. Damit begann
eine wilde Verfolgungsjagd, die über die Polargegend nach Mexiko führte, wo der
Schurke bei einem Zugbrand ums Leben kam. Edison und Alida fielen einander
schließlich in die Arme und schworen sich ewige Treue.
    Mit bunten
Kostümen, phantasievollen Bühnenbildern und eingängigen Melodien entführte »Der
Nautilus« die Zuschauer in eine fremde Welt. Vor allem der ewig hungrige
Schiffsjunge Fritz – so erklärte sich auch der Zwischenruf am Anfang des Stücks
– eroberte durch flotte Gesangseinlagen die Sympathien des Publikums, wenn er
etwa keck schmetterte: »Vom Affen stammt die Menschheit ab, / Wird's öfters
auch bestritten. / Die Ahnenschaft vom lieben Vieh / Möcht mancher sich
verbitten.«
    Otto war überrascht,
wie gekonnt Friederike Dürr die Rolle ausfüllte. Als sie sich am Ende
verbeugte, trampelten die Zuschauer mit den Füßen und klatschten begeistert in
die Hände. Sieben-, acht-, ja neunmal musste sie sich ihrem Publikum zeigen,
bis sie endlich entlassen wurde. Ohne Zweifel war sie der heimliche Star der
Aufführung.
    Als Otto die
Proszeniumsloge verließ, kramte er den Zettel hervor, den er an der Kasse
zusammen mit dem Billett erhalten hatte. In einer stark nach links geneigten
Schrift stand darauf: »Lieber Herr Doktor, bitte begeben Sie sich nach der
Vorstellung in den Biergarten und erwarten Sie mich bei der Sommerbühne. So
schnell ich kann, komme ich zu Ihnen. Ihre Friederike Dürr.«
    Angesichts des
bevorstehenden Treffens spürte Otto ein nervöses Ziehen in der Magengegend.
Rasch trat er in eine kleine Nische, zog den blauen Flakon, den er heute Morgen
extra gekauft hatte, aus der Jackentasche und tupfte sich ein paar Tropfen Eau
Imperiale hinter die Ohren. In den Herrenclubs und auf der Rennbahn wurde dem
Männerparfüm eine durchschlagende Wirkung nachgesagt.
    Jetzt war er für
Friederike Dürr gerüstet.

Auf der Straße
    Der nächste
Schritt seines Plans stand an. Also drückte er sich in den schattigen
Hauseingang und beobachtete das zweite Obergeschoss des Mietshauses auf der
gegenüberliegenden Straßenseite. Die Bohnenkönigin hatte eine Astrallampe
entzündet, die hell im Fenster brannte. Sie empfing also Freier. Allerdings
waren die Samtgardinen vorgezogen, offenbar war bereits Kundschaft bei ihr. Wann
war der Kerl endlich fertig?
    Seit zwanzig
Minuten wartete er nun schon und wurde langsam ungeduldig. Der letzte Schuss
lag über drei Stunden zurück, und hier im Hauseingang wollte er das Besteck
nicht auspacken. Für solche Notsituationen hatte er seinen Flachmann. Die
zähflüssige, einprozentige Kokainlösung half, die Zeit zu überbrücken, aber die
Wirkung war längst nicht so intensiv.
    Mit zitternder
Hand griff er in die Hosentasche, schraubte den Verschluss ab und nahm einen
tiefen Schluck. Wegen des bitteren Geschmackes zog er die Nase kraus. Zuerst
stellte sich ein pelziges Gefühl an den Lippen, auf der Zunge und im Gaumen
ein, dann kribbelte sein ganzer Mund. Mit geschlossenen Augen spürte er, wie
sich sein Atem verlangsamte und tiefer wurde. Dann endlich stellte sich die
Schwerelosigkeit ein, die seine Knochenschmerzen dämpfte.
    Ein Geräusch ließ
ihn aufmerken.
    Ein Herr in Frack
schlüpfte auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus der Haustür. Schnell
blickte er nach links und rechts, offenbar um sich zu vergewissern, dass
niemand ihn beobachtete. Dann zog er seinen Zylinder tief ins Gesicht und
huschte über den Trottoir davon. Nur wenig später öffneten sich im zweiten
Stock die Samtvorhänge, und die Bohnenkönigin zeigte sich mit entblößter
Schulter am Fenster.
    Er trat aus dem
Schatten des Hauseingangs und hob den Arm, um auf sich aufmerksam zu machen.
Die Bohnenkönigin blickte zu ihm herab. Als sie ihn erkannte, gefror ihr
Lächeln. Geschwind wich sie zurück und zog die Vorhänge wieder zu.
    Fassungslos starrte
er nach oben. Sie wollte ihn nicht empfangen! Kalte Wut stieg in ihm auf und
zerrte an seinen Eingeweiden. Nur einmal hatte er der Bohnenkönigin einen
Besuch abgestattet, um herauszufinden, ob sie für seine Zwecke geeignet war und
ob sie auch »Hausbesuche« machte. Beides hatte sich bestätigt. Um sie bei Laune
zu halten, hatte er ihr eine beträchtliche Summe gezahlt, ohne ihre Dienste in
Anspruch zu nehmen, und zum Dank wies sie ihn jetzt

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