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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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Kopf in alle Richtungen. War sie wirklich allein
oder log sie ihn an?
    »Französisch mach
ich es auch in einem Hauseingang«, sagte sie.
    »Wie heißt du?«
    »Die anderen
Mädchen nennen mich Invaliden-Lotte.«
    Er kramte in
seinen Taschen und holte fünf Mark heraus. »Hier. Du kommst mit und stellst
keine Fragen. Hinterher bekommst du noch mal fünf.«
    »Was, zehn
Piepen«, sagte die Invaliden-Lotte überrascht. So viel Geld verdiente sie sonst
an drei Tagen. Doch dann wurde sie argwöhnisch. Irgendwo musste ein Haken sein.
»Ich mach keine Schweinereien, und mehr als einen zur gleichen Zeit lass ich
nicht ran. Und damit das klar ist – hinten rein ist tabu.« Dann zuckte ihr
linkes Auge. »Oder hast du die Seuche? Wenn du die Seuche hast, dann –«
    »Du kannst
beruhigt sein. Ich bin vollkommen gesund.«
    Sie beäugte ihn.
»Zehn Piepen«, sagte sie schließlich, schüttelte ungläubig den Kopf und folgte
ihm.

Im Biergarten
    An diesem Abend
war der Biergarten des Belle-Alliance-Theaters gut besucht. Vierzigtausend
Gaslämpchen tauchten die Gäste in ein flackerndes Licht. Mächtige Bäume ragten
in einen funkelnden Sternenhimmel.
    Als Otto sich
einen Weg zwischen Bänken und Tischen hindurch bahnte, knirschte der Kies unter
seinen Füßen. Er kam an betrunkenen Veteranen vorbei, die »Heil dir im
Siegerkranz« schmetterten. Als sich ein Mann beschwerte, weil er sich mit
seiner Liebsten ungestört unterhalten wollte, wurde er sogleich als
Vaterlandsverräter beschimpft.
    Bei der
Sommerbühne waren noch Plätze frei. Otto setzte sich und bestellte ein großes
Glas Limonade und Landbrot mit Zwiebelwurst. Oben auf der Bühne trat das Duett
Schwach und Schwächer auf, ein Tenor und ein Bass, die das Alltagsleben aufs
Korn nahmen und dafür mäßigen Applaus ernteten.
    Nach einer halben
Stunde kam eine Frau, die eine auffällige Federboa, einen leuchtend gelben Hut
und zahllose Ketten, Armreifen und Ohrringe trug, an Ottos Tisch. Sie hob keck
ein Bein über die Bank, zog das andere nach und setzte sich. »Hallo, Herr
Doktor«, sagte sie. »Ich hoffe, dass Sie nicht zu lange warten mussten?«
    Erst jetzt
erkannte Otto Friederike Dürr und musste lächeln. Wie viele Gesichter konnte
ein Mensch eigentlich haben? »Das Gesangsduo hat mir netterweise die Wartezeit
verkürzt«, antwortete er.
    Friederike Dürr
bestellte bei einem Kellner zwei Gläser Kirschwasser. Dann wandte sie sich
wieder an Otto. »Sie müssen entschuldigen, aber nach der Vorstellung bin ich
immer so aufgekratzt. Ein bisschen Schnaps kann da wahre Wunder wirken. Ich
habe übrigens Ihr Buch gelesen. Sie sind ja Arzt.«
    »Sie haben mein
Buch gelesen?«
    »Aber natürlich.
Ich wollte herausfinden, mit wem ich es zu tun habe.«
    »Ich begegne nur
selten Frauen, die sich für mein Fachgebiet interessieren. Und auch die
Zuschriften, die ich erhalte, stammen meistens von Männern.«
    »Wenn ich schon
die Gelegenheit bekomme, einen richtigen Gelehrten kennenzulernen, dann möchte
ich natürlich wissen, auf welchem Gebiet er forscht.«
    Der Schnaps wurde
serviert. Otto wollte zuerst ablehnen, schließlich trank er sonst keinen
Tropfen Alkohol so kurz vor einem wichtigen Rennen, aber ein oder zwei
Schlückchen würden wohl nichts schaden. Die beiden prosteten einander zu und
leerten die Gläser. Nachdem Friederike Dürr dem Kellner ein Zeichen gegeben
hatte, dass dieser zwei neue Gläser bringen sollte, sagte sie: »Und deswegen
habe ich auch gleich eine Frage an Sie als Experten: Was sagt eigentlich die
Kleidung über einen Menschen aus?«
    Der Kellner
brachte den Schnaps. Otto hob sein Glas, betrachtete nachdenklich die
glitzernde Flüssigkeit und prostete Friederike Dürr erneut zu. Nachdem er das
Glas in einem Zug geleert hatte, spürte er den starken Alkohol im Kopf und
erwiderte leicht berauscht: »Verallgemeinerungen sind immer gefährlich, aber
ich kann Ihnen einige Beispiele nennen, um Ihnen einen Einblick zu vermitteln.«
    »Dann lassen Sie
mal hören.«
    »Nehmen wir den
Mann dort drüben. Was sagt sein Anzug über ihn aus?«
    »Sein Jackett und
die Hose sind alt. Vermutlich hat er kein Geld, um sich einen neuen Anzug zu
kaufen.«
    »Das ist
wahrscheinlich richtig. Ihre Schlussfolgerung gewährt uns allerdings noch
keinen Einblick in den Charakter des Mannes. Insofern lohnt es sich immer,
etwas genauer hinzuschauen. Am Ellenbogen können Sie zwei exakt zugeschnittene
Flicken erkennen. Ansonsten ist das zwar abgetragene, aber keinesfalls

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