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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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»Dampferstation,
Jannowitzbrücke. › MS Augusta‹. Mittwoch, kurz vor
Mittag. Natürlich nur, wenn Du willst. R.«
    Otto wusste
sofort, wer sich hinter »R.« verbarg. Zwar wunderte er sich über ihre offensive
Art – normalerweise ging die Initiative ja vom Mann aus –, aber schmälern
konnte das seine Vorfreude nicht. Rieke und er mussten ähnlich empfinden.

Auf dem Dampfschiff »Augusta«
    Am nächsten Tag
betrat Otto den Schiffsanleger und hielt Ausschau nach Rieke. Ein buntes
Völkchen hatte sich hier eingefunden. Naturliebhaber und Kinder, Dandys mit
Monokeln und in Damenbegleitung sowie Korpsstudenten in ihren Farben spazierten
umher und warteten auf die Abfahrt des Dampfers. Von Rieke fehlte jedoch jede
Spur. Wird sie tatsächlich kommen?, fragte Otto sich.
    Mit klopfendem
Herzen trat er zu einem kleinen Pavillon, löste zwei Billetts bis Tabberts
Waldschlösschen und stopfte sie in die Westentasche. Auf dem Weg zum Geländer
spürte er, wie die Pfahlkonstruktion leicht unter ihm schwankte. Er lehnte sich
an die Querstange und blickte versonnen über das Wasser. Auf der Spree glitt
ein Ruderboot mit sechs hünenhaften Athleten vorüber. Der Steuermann, ein Zwerg
mit riesigem Schnurrbart, gab Kommandos. Über die Jannowitzbrücke rumpelten
Pferdeomnibusse und Droschken ihrem Ziel entgegen, und auf dem
gegenüberliegenden Ufer ragten Fabrikschlote in den leicht bewölkten Himmel.
    Wo steckt sie nur,
dachte er und drehte sich um. Wenn Rieke in diesem Moment nicht gewunken hätte,
hätte er sie wohl nicht erkannt. Sie hatte ihr Haar mit einer großen roten
Schleife zurückgebunden. Ihr weißes Sommerkleid hatte Puffärmel und wurde von
einem roten Stoffgürtel an der Taille zusammengehalten. Ein Weidenkorb hing an
ihrem Unterarm. Rieke sah aus wie ein Mädchen aus gutem Haus, das sich für ein
Familienpicknick herausgeputzt hatte.
    »Was guckst du
so?«, fragte sie und drehte sich keck. »Gefalle ich dir nicht?«
    »Doch, doch«,
erwiderte Otto schnell. »Hier, hab ich dir mitgebracht.«
    »Oh, ein
Geschenk!« Rieke setzte den Korb ab, nahm die Schachtel entgegen und drückte
sie an ihre Brust. »Was ist es?«
    »Pralinen.«
    »Vielen Dank«,
sagte Rieke lächelnd und griff nach seiner Hand. Otto ließ sich zur Gangway
ziehen und sah nach oben. Auf dem Oberdeck der » MS Augusta« standen Bänke, über die am Heck ein Sonnendach gespannt war. Der
Steuerstand befand sich mittschiffs. Insgesamt fasste, so hatte Otto auf einem
Schild an der Kasse gelesen, das Dampfschiff bis zu zweihundertfünfzig
Personen. Es gehörte der sogenannten Vulcan-Klasse an und war wegen der vielen
Spreebrücken von der Berliner Dampfschifffahrts-Gesellschaft mit einem
Kippschornstein nachgerüstet worden.
    Ein Matrose hakte
das Absperrseil aus und entwertete die Billetts. Über eine schmale, wacklige
Gangway balancierten die Passagiere an Bord. Otto folgte Rieke durchs Unterdeck
zum Bug des Schiffes. Durch eine Tür traten sie ins Freie und kletterten über
eine steile Treppe aufs Oberdeck. Weil sie zu den Ersten zählten, waren die
meisten Plätze noch frei. Rieke entschied sich für eine sonnige Bank auf der
Steuerbordseite. Ordentlich strich sie ihr Kleid glatt, bevor sie sich setzte.
Rasch ließen sich Passagiere auf den Bänken um sie herum nieder, und bald
ertönte überall munteres Geschwätz. Dann tutete das Schiffshorn, und die » MS Augusta« legte ab.
    »Ich hab viel über
Afrika nachgedacht«, sagte Rieke. »Hast du Lust, mir noch etwas mehr zu erzählen?«
    »Was willst du
denn wissen?«, fragte Otto.
    »Alles! Aber
erzähl erst einmal von deiner Reise. Wie viel Gepäck durftest du mitnehmen? Wo
hat das Schiff abgelegt? Welche Route hast du genommen?«
    »Ich bin mit der
Englischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft gereist«, sagte Otto und räusperte
sich. »Die ›Victoria‹ legte in Hamburg ab und fuhr über Southampton nach
Teneriffa, wo wir –«
    »Das ist doch eine
Insel vor der afrikanischen Küste. Wie ist es da?«
    In Otto stiegen
Bilder von Palmen im Wind, von zerklüfteten Felsen, von tosenden Wellen und
schwarzen Stränden auf. »Wenn nicht die ganze Zeit Gassenjungen, Eselstreiber
und Marktfrauen an meinen Rockschößen gezerrt hätten, wäre es sehr schön
gewesen. Na ja, und es gab kaum Aussichtsbänke dort. Deshalb hab ich einen
geflochtenen Lehnstuhl gekauft und ihn überallhin mitgenommen. Ans Meer und auf
den Dorfplatz. Die Einheimischen nannten mich ›Der Ausländer mit dem Stuhl‹.«
    Rieke

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