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Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm

Titel: Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Ernestam
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gefunden hatte. Warum nicht in Carna? Dann wäre der Kreis geschlossen. Nur dass dort nie jemand vorbeikommen und ihr einen Gedanken widmen würde. Recht so. Man musste seine Verbrechen sühnen.
    Wie aus einem Reflex heraus umklammerte sie das Kreuz, das sie um den Hals trug. Sie erwachte, als der Zug mit einem Ruck im Bahnhof hielt. Von hier aus ging es erst mit dem Bus, dann mit dem Taxi weiter zu Fredriks Mutter. Sie hatte ihnen den Weg genauestens beschrieben und sich höflich dafür entschuldigt, dass die Verkehrsverbindungen in Norrland zu wünschen übrig ließen. Mari empfand eine unendliche Müdigkeit. Auf dem Bahnsteig war es so kalt, dass ihre Wangen schmerzten. Fredriks Mama hatte ihnen zwanzig Grad unter null in Aussicht gestellt. Sie hatte sich nicht vorstellen können, was das bedeutete. Möglicherweise half es ihr ja dabei, ihre Gefühle einzufrieren. Sie würden zu einem kleinen, kompakten Klumpen erstarren, der sich handhaben ließ. Anna riss sie aus ihren Gedanken.
    »Wenn du hier einschläfst, dann wachst du nie wieder auf. Komm. Ich glaube, es geht hier lang.«
    Sie fanden den Bus. Er war neu und mit jedem Komfort ausgestattet. Sie stiegen ein. Außer ein paar älteren Männern, die so weit wie möglich von ihnen entfernt Platz nahmen, waren sie die einzigen Fahrgäste. Der Bus fuhr pünktlich ab. Mari sah, wie die Bebauung recht rasch verschwand und von dem kompakten Wald abgelöst wurde, den sie bereits in den letzten Stunden vom Zug aus gesehen hatten. Die Schneemassen drückten die Äste der Tannen zu Boden, die großen Felsbrocken
waren unter der weichen Schneedecke verborgen, und die Dunkelheit war gelassen und verzeihend. Maris Sehnsucht nach dem Meer war so intensiv, dass sie erschauerte. Einst war Fredrik von hier geflohen, um nicht lebendig begraben zu werden. Jetzt konnte ihn niemand mehr vor seinem letzten Ziel retten.
    Der Gedanke, dass er vielleicht jetzt auf denselben Wegen unterwegs war wie sie, ließ sie erneut erschauern. Im Laderaum eines Autos, in einem Sarg verfolgte er sie, um von ihnen Gerechtigkeit oder eine Erklärung zu verlangen. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
    Ich glaube, dass ich den Verstand verliere.
    »Wir sind da.«
    Annas Stimme weckte sie. Sie stiegen am Busbahnhof aus, und wenig später holte sie ein Taxi ab und fuhr sie in das kleine Dorf, in dem Fredrik aufgewachsen war. Einzelne Häuser säumten die Straßen, ein Zentrum mit Läden war nirgends zu sehen. Mari fragte den Taxifahrer, und dieser antwortete, alles sei schon seit Jahren geschlossen, aber in einem etwas größeren Ort einige Dutzend Kilometer entfernt gebe es gute Geschäfte. »Man braucht ein gutes Gedächtnis«, konstatierte er knapp. Dann hielt er vor einem Haus an, das etwas für sich stand.
    Mari sah ein graues Haus am Waldrand mit einigen Nebengebäuden vor sich. Der Hof war größer, als sie erwartet hatte, wirkte aber ein wenig verfallen. Hier und da blätterte die Farbe, und der Weg von der Haustür zum Briefkasten war schon wieder zugeschneit.
    »Sie geht nicht sonderlich oft aus«, sagte der Taxifahrer in einem unerwarteten Anfall von Gesprächigkeit. Anna zahlte und dankte, nahm ihre Taschen aus dem Kofferraum und begann auf das Haus zuzugehen. Als das Taxi verschwunden war, war die Stille total. Die Dunkelheit ebenfalls.
    Mari begann die Wanderung auf das Haus zu. Bei jedem
Schritt versank sie bis zu den Waden im Schnee. Irgendwann waren ihre Stiefel schneegefüllt. Hinter sich hörte sie Anna keuchen.
    »Wenn es das falsche Haus ist, weiß ich nicht, was wir tun.«
    »Es muss das richtige sein. Sonst lege ich mich in den Schnee, rudere mit den Armen, sodass der Abdruck aussieht wie der eines Engels, und verschwinde.«
    Ein Engel. Ein Racheengel. Mari dachte, dass sich die Sprache für immer verändert hatte. So viele Worte würden nie mehr dasselbe für sie bedeuten wie früher. Dann hörte sie die Musik.
    Die Töne des Flügels perlten unter der Tür hervor, schlichen über den Schnee, wurden leichter und verschwanden in den Tannenwipfeln. Die Stimme, die sang, war weich und gleichzeitig durchdringend, intensiv und absolut eigen. Mari versuchte den Text zu verstehen, hörte aber nur, dass das Lied auf Französisch war. Vorsichtig stellte sie ihre Tasche vor der Haustüre ab. Vergeblich suchte sie nach einer Klingel, als die Musik abrupt verstummte. Wenige Sekunden später wurde die Tür geöffnet. Eine Frau stand vor ihnen.
    Fredriks Mama war vermutlich Mitte

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