Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
zu nass, oder sie sei zu groß. Schließlich begriff Anna: Das Einzige, was ihre Tochter von ihr verlangte, war Selbstbeherrschung, etwas, was sie nicht zu bieten hatte.
Fanditha lehnte sich sogar gegen ihren Namen auf. Anna und Greg reisten, nachdem sie den Kibbuz verlassen hatten, zusammen durch die Welt und verbrachten mehrere Wochen auf den Malediven, die damals noch ein unberührtes Inselparadies waren. Sie wohnten an jungfräulichen Orten, brachten so viel wie möglich über das Inselreich in Erfahrung und stießen so auf die Legende von Fanditha. Sie war die Tochter eines Sultans gewesen und hatte sich in einen portugiesischen
Seemann verliebt, der beim Schiffsuntergang verletzt, an Land geschwemmt und in ihren Armen gestorben war. Seither zeige Fanditha sich einmal im Jahr bei Vollmond an einem bestimmten Strand. Fanditha bedeutete »magisch« in der Sprache der Einheimischen, und Greg und sie waren sich sofort einig, dass sie eine eventuelle Tochter auf diesen Namen taufen würden. Fanditha wehrte sich von Anfang an, sobald ihr klar geworden war, dass sie einen ungewöhnlichen Namen trug.
»Fanditha bedeutet magisch, und du bist magisch. Ein Wunder«, versuchte Anna sie zu überzeugen.
»So heißt sonst niemand«, erwiderte Fanditha wütend.
»Aber du bist nicht wie die anderen. Du bist einzigartig«, beschwor Anna sie.
»Ich will nicht einzigartig sein. Ich will ich sein«, schrie Fanditha. Mit sieben fing sie an, sich Fanny zu nennen, und verlangte von Greg und ihr, das auch zu tun.
Fanditha verabscheute das Hausboot in Amsterdam, und zwar von dem Augenblick, in dem sie gemerkt hatte, dass Mädchen in ihrem Alter für gewöhnlich in Häusern mit Gärten, Kieswegen und pedantisch angelegten Beeten wohnten. Anna wollte es nie zugeben, nicht einmal sich selbst gegenüber, aber Fandithas Aversion gegen ihr Quartier und gegen das »einfache« Leben war mit Sicherheit einer der Gründe, warum es in Gregs und ihrer Beziehung mit der Zeit ebenso bedenklich geknirscht hatte wie in den Bodenplanken des Hausboots. Der Beschluss, nach Stockholm zu ziehen, damit Fanditha in einem richtigen Haus mit festem Boden unter den Füßen wohnen konnte, war ganz sicher ein Versuch, den Kontakt zu ihr nicht zu verlieren, obwohl Anna selbst nicht so recht wusste, weshalb sie sich so verzweifelt um etwas bemühte, was Fanditha ohnehin nicht wichtig zu sein schien.
In Stockholm führten sie zwei parallele Leben, und Fanditha zog so schnell wie nur möglich von zu Hause aus. Sie studierte in Stockholm und in den USA Wirtschaft und hielt
sich im Augenblick in Schweden auf, um irgendeine wichtige Arbeit abzuschließen. Anna behielt nie den Überblick, in welche handelspolitischen Zusammenhänge sich ihre Tochter vertiefte, und Fanditha hatte einmal gesagt, das sei nur eine logische Folge des Desinteresses, das sie schon seit ihrer Geburt für ihre Persönlichkeit an den Tag legte. Nach diesem Kommentar hatte Anna eine ganze Nacht lang wach gelegen und sich überlegt, ob sie diesen Vorwurf verdiente.
Jetzt saßen sie am Küchentisch und aßen ein paar Brote, die Anna schnell zurechtgemacht hatte, nachdem sie die Weinflasche diskret durch alkoholfreies Bier ersetzt hatte. Fanditha warf einen kritischen Blick auf den Berg mit ungespültem Geschirr. Anna bewunderte ihr blondes, lockiges Haar, das sehr an das von Greg erinnerte, und ihre braunen Augen – die ihr Beitrag waren. Was für eine wunderschöne Tochter ich doch habe, dachte sie. Wenn sie es doch nur unterlassen könnte, sich so zugeknöpft, angepasst und abweisend zu kleiden.
Sie sprachen über das Studium. Anna gab sich alle Mühe, interessiert zu wirken, bis ihr Fanditha ins Wort fiel und meinte, sie könne sich die Heuchelei sparen. Anna wechselte daraufhin das Thema und erzählte von Fandithas Großvater, dass es ihm physisch und psychisch schlecht gehe. Der Gesichtsausdruck ihrer Tochter wurde daraufhin etwas weicher. Sie versprach, ihn zu besuchen. Anna sah sie an und dachte, dass sie schließlich Greg damals verlassen hatte, um diesen Gesichtsausdruck etwas häufiger zu sehen.
»Was treibst du eigentlich so im Moment?«
Fandithas Frage hatte etwas Unfreundliches, und Anna verspürte plötzlich eine wahnsinnige Lust, zu erzählen, dass sie gerade eine kleine Agentur für Alltagsmorde gegründet hätten, und dass ihr erstes Opfer der bösartige Herr Karlsten von gegenüber sein würde. Wir wollen ihn vergiften, weil wir keine Sadisten sind, dachte sie. Es fiel ihr
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