Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
Umarmung zu begrüßen. Stattdessen rief er ihr zu, er sitze im Wohnzimmer. Auf einem Tablett vor ihm standen eine Tasse kalter Kaffee und eine halbgegessene Zimtschnecke.
»Ja, hier sitze ich«, sagte er resigniert und fuhr dann nach einer Weile fort: »Es gab auch schon bessere Zeiten.« Anna trat auf ihn zu, kniete sich hin und nahm seine Hände. Vorsichtig legte sie sie auf ihre Wangen.
»Meine Kleine. Das ist alles kein Spaß. Ich habe einen solchen Druck auf der Brust. Und dann fällt es mir auch schwer, das Essen bei mir zu behalten. Natürlich nicht das, das du mir dagelassen hast.«
Der Versuch erneuter Fürsorglichkeit, trotz aller Müdigkeit und allen Überdrusses. Anna fielen der resignierte Blick, das verfilzte Haar und die Füße in den Pantoffeln auf. Eine Niedergeschlagenheit bemächtigte sich ihrer, die sie zu bewältigen suchte, indem sie die Wohnung putzte, jedenfalls das Schlimmste. Glücklicherweise hatte sie einiges aus dem Café mitgebracht und füllte den Kühlschrank mit Lebensmitteln, die gut und gerne eine Woche reichen würden, wenn ihr Vater nur daran dachte, überhaupt etwas zu essen. Sie aßen gemeinsam, und nach einer Weile hatten die Wangen ihres Vaters wieder etwas Farbe angenommen. Dann bat er sie darum, mit ihm an die frische Luft zu gehen.
Auf dem Hof atmete er tief durch und erklärte, manchmal habe er das Gefühl, es sei zum letzten Mal. Kurz darauf bat er sie jedoch, ihm seine Depressivität zu verzeihen. Dann hakte er sich bei ihr ein, stützte sich schwer auf sie und meinte,
dass es manchmal einfach etwas einsam sei. Sogleich sprach er seine Befürchtung aus, ihr ein schlechtes Gewissen gemacht zu haben.
»Ich komme schon zurecht. Ich komme gut zurecht. Wie geht es dir überhaupt?«, fragte er, um davon abzulenken, dass er sich verplappert hatte. Anna ärgerte sich über ihre Mutter und Schwester, weil diese wegsahen und sich nicht kümmerten. Dann erläuterte sie ihrem Vater kurz in groben Zügen die Geschäftsidee von Kleopatras Kamm , ohne jedoch Elsa Karlsten zu erwähnen. Nach anfänglichem Zögern erzählte sie dann auch von Fanditha und ihrem Beschluss, auf Gregs Hausboot in Amsterdam zu ziehen. Papa brummte vor sich hin und drückte ihren Arm fester. Er wusste, dass man nicht immer Herr seiner Gefühle war.
»Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, versuchte er sie später zu überzeugen, als sie ihn umarmte, bevor sie nach Hause fahren wollte. Der Nachmittag hatte ihn so weit aufgemuntert, dass er es bis in die Diele schaffte, um ihr hinterherzuwinken. Das gab den Ausschlag. Leben um Leben. Das hatte sie selbst vor nicht allzu langer Zeit gesagt. Jetzt konnte sie nicht mehr zurück.
Einige Tage später erzählte sie Fredrik und Mari davon. Sie saßen zusammen, jeder mit einer Arbeit beschäftigt, die absurder wirkte denn je zuvor. Die Probleme anderer Leute schienen plötzlich keine mehr zu sein. Mari kontrollierte die Buchhaltung des Hundehorts Laternenpfahl, und Fredrik entwarf einen Schuhschrank, eine Maßanfertigung. Sie selbst war mit einem Trainings- und Diätprogramm für eine übergewichtige Volkshochschulgruppe beschäftigt. Für die richtige Ernährung konnte sie sorgen, aber für die Bewegung? Selbst hatte sie sich immer lieber ein Glas Wein eingeschenkt, wenn sie das Gefühl gehabt hatte, Bewegung zu benötigen. Sex war auch eine akzeptable Alternative gewesen. Sollte sie das etwa vorschlagen?
Die Stille war brutal, und Anna wollte nur noch laut schreien oder verschwinden. Fredrik, Mari und sie, die über alles hatten sprechen können, zogen es vor, nach Elsa Karlstens triumphierendem Bericht über das Ableben ihres Gatten ihren eigenen Gedanken nachzuhängen als sich miteinander auszutauschen. Fredrik wirkte abgemagert und bleich, und Mari hatte seltsam glänzende Augen. Wie ein Racheengel, hatte Anna einmal gedacht, dann hatte sie das Entsetzen gepackt. Mari? Die keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte? Die eine Schere in die Hand ihres Chefs gerammt hat, hatte eine innere Stimme geflüstert. Anschließend hatte sie diesen Gedanken aus ihrem Bewusstsein verbannt.
Niemand hatte es gewagt, an der mutmaßlichen Wahrheit zu rütteln, Hans Karlsten sei eines natürlichen Todes gestorben, und da Elsa sich dafür entschieden habe, etwas anderes zu glauben, sei es genauso gut, sie in diesem Glauben zu lassen, damit der andere Verdacht nicht von neuem aufkommen könne. Dass Elsa ihren Mann selbst umgebracht hatte. So lautete auf jeden Fall
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