Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
habe nie den Eindruck, dass das etwas mit mir zu tun hat. Ihre Seele ist fort. Sie ist bereits verschwunden. Sie wartet irgendwo. Und deswegen habe ich auch eine Frage an Sie, Anna. Ich glaube, dass Sie mir helfen können.«
Er beugte sich zu ihr vor und sprach leiser. Sie fühlte sich dazu bemüßigt, sich umzuschauen, aber niemand an den Nachbartischen schien in ihre Richtung zu schauen oder sich für ihre Unterhaltung zu interessieren.
»Sie müssen wissen, dass wir nicht unvorbereitet sind, weder Anna noch ich. Wir konnten über alles reden, was das Leben und natürlich auch den Tod betraf. Ich habe es immer als unangenehm empfunden, an dieses Endgültige zu denken, dem keiner von uns entgeht. Obwohl ich immer ein gutes Verhältnis zu meinem Schöpfer hatte, gefällt mir das Leben wahnsinnig gut. Dann war da noch der Gedanke an Anna natürlich. Dass sie vor mir sterben könnte oder ich vor ihr. Ich konnte mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Aber Anna sah das anders. Sie sagte immer, wenn sie vor mir gehen müsste, dann würde sie auf mich warten. Sie würde am Wasser bereitstehen und mithelfen, mich auf die andere Seite zu rudern.
Ist das nicht schön gedacht? Sie hatte nie Angst vor der künftigen Existenz, wie sie das nannte. Ihre Angst galt nur jener Situation, die nun eingetroffen ist. Dass sie einfach so daliegen könnte, krank und elend und vollkommen abhängig vom Wohlwollen anderer Menschen. Ihr schien es die größte Schmach zu sein, sich nicht mehr selbst versorgen zu können und das nicht einmal mehr zu wissen. Dass andere sie in ihrer Gebrechlichkeit bemitleiden könnten, während sie davon nichts mehr mitbekäme. Daher zwang sie mich zu einem Versprechen. ›Sollte ich zum bewusstlosen Pflegefall werden, so musst du dem ein Ende bereiten‹, sagte sie. ›Versprich mir das, Martin. Leg deine Hand auf die Bibel, und gelobe mir das.‹«
Martin Danelius senkte seine Stimme noch mehr, zum Schluss war nur noch ein undeutliches Flüstern zu hören.
»Ein fatales Versprechen, nicht wahr? Bei Gott zu versprechen, seiner Geliebten das Leben zu nehmen, ist keine Kleinigkeit, Fräulein Anna. Und ich muss zugeben, dass ich es mit der Angst bekam, als ich ihr dieses Versprechen gab. Vielleicht nahm ich die Sache ja auch nicht ganz ernst. Anna kam zwar regelmäßig darauf zu sprechen, dass es ihr größter Alptraum sei, alt und krank zu werden. Am Schluss sogar immer häufiger. Sie merkte natürlich selbst, dass es bergab ging, und ahnte vermutlich von Anfang an, wie die Sache ausgehen würde. Deswegen ließ sie mich auch die Hand auf die Bibel legen und meinen Eid schwören. Das war an einem kalten Märzmorgen. Und als ich versprach, meiner geliebten Anna auf die andere Seite zu helfen, wenn sie einmal nicht mehr könne … da hatte ich das Gefühl, als entflammten meine Fingerspitzen. Religiöses Wunschdenken vielleicht. Aber verstehen Sie das, Fräulein Anna?«
Wessen Gott hatte ihm die Fingerspitzen verbrannt? Mamas oder Papas? Anna kam nicht umhin, sich diese Frage zu stellen, die Antwort konnte unterschiedlich ausfallen, je nachdem, wie man die sowohl fatale als auch schöne Szene betrachtete,
die ihr der ältere Mann neben ihr soeben beschrieben hatte. War es der Gott der Rache, der sagen wollte, dass der kleine Mensch seine Finger im Zaum halten sollte? Oder war es der Gott der Liebe und Barmherzigkeit, der seine Zustimmung ausdrückte?
»Das muss für Sie beide ein sehr bewegender Augenblick gewesen sein«, meinte sie vorsichtig, ohne sich den Gedanken zu gestatten, dass Martin Danelius ihr seine Frage noch gar nicht gestellt hatte.
»Bewegend? Ja, vielleicht. Es gibt Leute, die es selbstsüchtig genannt hätten, dem Menschen, den man liebt, ein solches Versprechen abzuverlangen. Ich habe Anna dieses Versprechen nicht abgenommen. Ich wollte nicht, dass sie in eine Situation gerät, in der sie sich für mein zukünftiges Leben oder meinen eventuellen Tod moralisch verantwortlich fühlt. Aber ich war noch gesund, als das passierte. Anna war krank. Das ist ein Unterschied. Seither trage ich dieses Versprechen mit mir herum. Ich dachte gestern daran, als ich bei ihr saß. Ich werde auch heute Abend und morgen wieder daran denken. Bis es geschieht.«
Annas Magen verkrampfte sich. Sie schaute zu Mari, und einen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke. Sie wollte ihrer Freundin einen stummen Hilferuf senden, bekam aber keinen Kontakt. Maris Blick war wachsam, aber gleichzeitig merkwürdig
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