Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
fröhlich. Als Mari sich dann sofort wieder an ihren Tischnachbarn wandte, wusste Anna, dass sie allein war. Sie blickte zu Fredriks Platz und bemerkte erst jetzt, dass dieser leer war. Auch von ihm war keine Hilfe zu erwarten.
Martin Danelius trank einen Schluck Kaffee, rührte sein Himbeersorbet aber nicht an. Die rosafarbene Masse schmolz auf seinem Teller, und Anna sah vor sich, wie die Farbe dunkler wurde und über Teller- und Tischkante schwappte. Sie schüttelte den Kopf und zwang sich, tief durchzuatmen. Gregs Tauchanweisungen hallten in ihrem Kopf wider. Du
musst ganz ruhig atmen, wenn du wieder an die Oberfläche kommen willst.
»Ich verstehe nicht …«, begann sie, aber er fiel ihr ins Wort.
»Ich erwähnte ja, dass Elsa und ich seit vielen Jahren gut befreundet sind. Wir wohnen in derselben Stadt, und dann weiß man natürlich, was sich hinter den Türen der Freunde abspielt. Alles andere wäre auch keine gute Freundschaft. Wir waren immer füreinander da. Das ging natürlich am ehesten, wenn ihr Mann verreist war. Dann konnte man sie besuchen, gemeinsam zu Abend essen oder ihr auch nur im Garten helfen. Hans war kein angenehmer Mann. Ich weiß, dass Sie das auch wissen, Fräulein Anna, deswegen brauche ich nicht lange um diese Sache herumzureden. Wir bemerkten das bereits, als wir ihn im Urlaub kennenlernten. Er trank, wurde im Hotel ausfällig und schrie Elsa an. Sie tat uns leid, und wir fanden, dass wir die wenige Hilfe, die wir ihr bieten konnten, auch leisten sollten. Sie hatte so nette Kinder. Da wir keine eigenen hatten, war uns das besonders wichtig.«
Martin Danelius seufzte und schaute in die Ecke des Saals, in der sich die Söhne mit ihren Familien versammelt zu haben schienen.
»Sie hat wirklich nette Jungen«, meinte er. »Vor allen Dingen der jüngste, Lukas. Die anderen haben sich von der Familie distanziert, als sie älter wurden. Ihnen blieb vermutlich nur die Kraft, sich selbst zu retten, vielleicht haben sie es sich auch etwas leicht gemacht, als sie der Meinung waren, Elsa solle versuchen, das Beste aus der Situation zu machen, da es ihr nicht gelungen war, sie ausreichend zu schützen. Man kann ihnen dafür keine Vorwürfe machen, dass sie so gedacht haben. Toleranz ist eine seltene Gabe, und es fällt nicht leicht, zu verzeihen, wenn man selbst schlecht behandelt worden ist. Umso schöner ist es, wenn man jemanden trifft, der das kann, so wie Lukas. Die anderen kommen nicht sonderlich oft zu
Besuch, aber er hat sich immer gekümmert. Vielleicht wird ja jetzt alles anders.«
»Ist das Lukas, da drüben neben meiner Kollegin?«
Martin Danelius nickte.
»Ja, das ist Lukas. Er scheint sich mit Ihrer Kollegin angefreundet zu haben. Das ist nett. Er ist immer noch alleinstehend. Ich glaube nicht, dass es ihm an Möglichkeiten gemangelt hat, sondern eher, dass er nicht wollte. Er sieht gut aus, und tüchtig ist er auch. Er ist Rechtsanwalt.«
Anna sah, wie Lukas Karlsten Mari anlachte. Sie wandte sich an Martin Danelius, um ihn zu fragen, was Lukas Karlstens juristisches Spezialgebiet sei, aber es gelang ihr nicht, den Satz zu beginnen, da ergriff ihr Tischnachbar schon wieder das Wort.
»Sie müssen wissen, dass Elsa und ich uns in den letzten Jahren gegenseitig eine große Hilfe waren. Ich kann aufrichtig sagen, dass Elsa der einzige Mensch auf der Welt ist, dem ich mich anvertrauen konnte. Ihr wird es vermutlich nicht anders gehen. Sie kennt zum Beispiel meine Situation mit Anna und weiß von dem Versprechen, das ich ihr gegeben habe. Ja, sie war auch schon in der Klinik und hat gesehen, wie es ihrer alten Freundin geht, und sie hat mit mir mitgelitten. Ich habe zugesehen, wie Elsa von ihrem Mann systematisch zerstört worden ist. Die Götter wissen, dass ich ihr meine Hilfe angeboten habe. Aber sie wagte nie, diesen Schritt zu tun. Sie wagte nie, zu uns zu ziehen oder später dann zu mir. Sie wagte nie, ihn anzuzeigen oder die Scheidung einzureichen. Bis sie eine Lösung fand.«
Anna versuchte, Martin Danelius’ Blick, solange es ging, standzuhalten. Sie musste sich anstrengen, nicht zu blinzeln und nicht zu verraten, was sie dachte. Trotzdem hätte Martin Danelius ihr Grauen spüren und irgendwie darauf reagieren müssen. Seine Miene hätte erregt, zweideutig oder vorwurfsvoll sein müssen und nicht freundlich bittend. Und doch war
dies der Anblick, der sich ihr bot. Sie sah einen alltäglichen, älteren Mann, nett, verzweifelt und außerordentlich hilfsbedürftig. Jetzt
Weitere Kostenlose Bücher