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Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm

Titel: Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Ernestam
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ich besessen hatte, einmal schloss sie sich versehentlich aus. Kleinigkeiten. Nichts, was man ernst zu nehmen brauchte. Damals.«
    Martin Danelius machte eine Pause, als dächte er darüber nach, wie er seine Worte wählen sollte.
    »Vielleicht hätte ich schon viel früher begreifen sollen, dass etwas nicht stimmte«, fuhr er fort. »Vor allen Dingen hätte ich es in den darauffolgenden Monaten bemerken sollen. Denn es passierte immer öfter, dass sie etwas vergaß, und das, worüber wir anfangs noch gelacht hatten, war bald nicht mehr lustig. Es war nicht lustig, wenn plötzlich Geld fehlte. Wenn sie vergessen hatte, den Herd auszumachen. Wenn das Bügeleisen ein Loch in ein Hemd brannte. Wenn sie vom Laden an der Ecke nicht mehr nach Hause fand. Alzheimer ist eine Krankheit, die viele Menschen trifft. Doch dass meine Anna krank war, wollte mir einfach nicht in den Kopf. Wir können nicht verstehen, was wir nicht verstehen wollen, ist es nicht so, Fräulein Anna?«
    Er sah sie flehend an. Anna fiel auf, dass seine Augen eine verblichene, graue Färbung besaßen, die sie an schmutziges Glas erinnerte.
    »Ich glaube, dass wir versuchen, das, was wir nicht verstehen wollen, von uns zu schieben«, meinte sie vorsichtig. In ihrem Inneren war Gregs Stimme von Fandithas abgelöst worden. Hast du dir schon einmal überlegt, wie es ist, die Tochter von einer Person wie dir zu sein? Anna fuhr sich mit der Hand durchs Haar, ein Versuch, die Worte wegzuwischen, aber sie hörte sie immer noch. Ich will normal sein. Ich besuche Papa auf seinem Hausboot.
    »Das glaube ich ganz bestimmt. Von Schmerz und Trauer wollen wir nicht mehr als nötig wissen. Dass wir lieber an Gutes glauben als an Schlechtes ist menschlich«, fuhr sie fort
und kostete dann vorsichtig von dem Himbeersorbet, das ihr jemand hingestellt hatte.
    Martin Danelius seufzte.
    »Wenn Sie nur wüssten, Fräulein Anna, wie sehr ich in den letzten Jahren gehofft und wie sehr ich für sie gekämpft habe. Ich habe sie ausgeschimpft. Ich habe sie gezwungen, sich zu erinnern. Habe sie mit nach draußen und mit in die Stadt genommen, wenn sie sich verkriechen wollte. Aber zum Schluss machte ihr Organismus nicht mehr mit. Sie wurde immer dünner und müder. Wusch sich nicht mehr. Ich musste aufgeben. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich fast fünf Jahre für uns beide gekämpft. Aber der Tag, an dem sie ins Heim kam, war der schwärzeste Tag meines Lebens.
    Heim nennt man es vielleicht nicht mehr, und das ist gut. Denn wie kann etwas Fremdes je ein Heim, ein Zuhause werden? Schließlich waren wir nie voneinander getrennt gewesen. Die ersten Monate versuchte sie immer, wieder nach Hause zu finden. Türmte und irrte dann in der Umgebung herum, und wäre in einer kalten Winternacht fast erfroren, als die Schwesternhelferinnen einmal vergessen hatten, die Tür abzuschließen. Dann kam die Apathie. Sie saß einfach nur noch in ihrem Sessel, wenn ich kam, genauer gesagt hing sie in ihrem Sessel. Sie weigerte sich zu sprechen und zu essen.«
    Anna sah, dass Martin Danelius’ Augen feucht geworden waren. Eine einsame Träne bahnte sich ihren Weg die Wange hinunter und verschwand in der tiefen Falte, die sich in seinem Mundwinkel eingegraben hatte. Sie legte ihre Hand auf seine, und er drückte sie fest, fast krampfhaft.
    »Seit drei Jahren liegt sie bewusstlos im Krankenhaus. Sie erlitt einen Schlaganfall, und jetzt wird sie durch einen Schlauch ernährt. Sie atmet mit Hilfe eines Beatmungsgeräts. Die Schwestern drehen sie alle paar Stunden um, damit sie sich nicht wund liegt. Anna war der selbständigste Mensch, den ich gekannt habe. Jetzt liegt sie einfach nur noch abgemagert
da und ist auf die Hilfe von Leuten angewiesen, die sie nicht einmal kennt. Ich sitze bei ihr und halte ihr die Hand und fahre ihr übers Haar. Ich flüstere ihr ins Ohr, dass ich sie immer lieben werde. Aber ich glaube nicht, dass sie mich hört, Fräulein Anna. Da könnte ich eine richtige Wut kriegen auf diesen guten Gott, an den ich immer geglaubt habe, da er Anna und mir ein so gutes Leben gegeben hat.
    Warum lässt er es nicht zu, dass ich zu ihr durchdringe? Warum hat er bei ihr dichtgemacht? Denn so kommt es mir vor, verstehen Sie, Fräulein Anna. Dieses Wesen, das da liegt, hat nichts mit meiner Anna zu tun. Wenn meine Anna in diesem Körper wäre, würde sie mir antworten. Aber sie gibt mir kein Zeichen. Sie kann nicht einmal meine Hand drücken. Kann nicht seufzen. Manchmal zucken ihre Lider, aber ich

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