Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
geholfen hat. Sie scheint Ihnen dafür sehr dankbar zu sein, und ich danke Ihnen deswegen auch sehr herzlich. Im Namen der ganzen Familie. Wir hätten ihr natürlich selbst helfen sollen, aber jetzt ist es nun einmal, wie es ist. Hatte Ihr Unternehmen nicht einen recht originellen Namen? Irgendwas mit einer ägyptischen Königin?«
» Kleopatras Kamm «, antwortete sie mühsam mit einer ihr fast fremden Stimme. Spielte er mit dieser Bemerkung auf ein Verbrechen an? Gab es einen Grund, anzunehmen, dass Lukas Karlsten mehr über die Kontakte seiner Mutter zu Kleopatras Kamm wusste, als er zugeben wollte? Wollte er etwa andeuten, dass sie sich in Dinge eingemischt hatten, die sie nichts angingen? Sie öffnete den Mund, um sich zu verteidigen, sah dann aber ein, dass sie vermutlich unrecht hatte. Lukas Karlstens Miene war offen und ehrlich gewesen. Sie sah nichts anderes als zurückhaltende Freundlichkeit und Interesse für ihr Unternehmen.
Verstohlen betrachtete sie ihn näher. In vielem ähnelte er seiner Mutter, er war groß und muskulös und hatte dunkles Haar, das sich auch mit zunehmendem Alter vermutlich nicht lichten würde. Die Augen hatten einen Grünschimmer, und seine spitze Nase und sein ziemlich breiter Mund wichen so weit von der Norm ab, dass man sofort Vertrauen zu ihm fasste. Wenn er Arzt war, dann sicher einer von der Sorte, dem seine Patienten die Treue bewahren, dachte sie noch, aber da kam er ihr schon zuvor.
»Sie müssen entschuldigen, dass ich sofort zur Sache komme«, sagte er. »Aber ich bin Rechtsanwalt und vermutlich derjenige der Familie, der am meisten mit den Finanzen unserer Eltern zu tun hatte. Ich muss allerdings zugeben, dass mein
Vater in diesen Fragen ziemlich verschwiegen war. Doch jetzt erhalte ich sicherlich Gelegenheit, mir diese Dinge näher anzuschauen.«
Auch das hätte eine versteckte Drohung sein können, aber wiederum las Mari in seinem Gesicht nichts anderes als Trauer über die Schwierigkeiten, die seine Familie in der Vergangenheit geplagt hatten. Sie murmelte, dass sie ihm dabei gerne behilflich wären, während das kürzlich erhaltene Honorar ihrem Gewissen zu schaffen machte. Lukas Karlsten war kein Trottel, ihm würde sicher auffallen, dass anderthalb Millionen Kronen des Familienvermögens fehlten. Andererseits hatte er das Talent seiner Mutter geerbt, und diese hatte versprochen, alles zu tun, um zu verschleiern, dass Geld aus dem Nachlass verschwunden war. Falls sie sich wirklich über Nacht von einer geduckten in eine aufrechte, selbständige Frau verwandelt hatte, war ihr das auch gelungen.
Mari sah sich im Café um. Alle Gäste waren gegangen. Als sie gekommen war, hatte sie nur mit Mühe einen freien Stuhl gefunden. Schließlich nahm sie auf einem der kleinen Sessel ganz hinten im Lokal Platz. Von dort aus hatte sie einen guten Überblick. Jo wetzte hin und her und bediente. An einem Fenstertisch blieb sie länger stehen. Ein junger Mann lachte sie an, und Jo erwiderte das Lachen. Mari dachte darüber nach, ob Jo sich irgendwie verändert hatte, weil sie schöner wirkte als noch vor einigen Wochen. Ob es etwas mit dem Haar war? Eine neue Frisur? Mari strich sich über ihr eigenes Haar, dankbar dafür, dass sie David seinen Willen gelassen hatte. Es sollte wachsen und so undurchdringlich werden wie die Hekke, die das Dornröschenschloss umgab.
Schließlich waren alle Gäste verschwunden, Jo räumte das letzte Geschirr ab, stellte die Reste in den Kühlschrank und putzte. Dann verschwand sie mit einem »Bis morgen«, und jetzt saß Mari im Fristaden, unfähig, die belegten Brote und den Kuchen aus der Theke zu nehmen, so wie sie es Jo versprochen
hatte. Sie starrte die grüne Wand an, die alten Möbel und die Uhr und überlegte sich, was ihr Anna so dringend sagen wollte. Sie hatte aufgebracht gewirkt, und Mari ahnte, dass sie keine guten Neuigkeiten hatte. Trotzdem empfand sie keine Nervosität oder Angst, sondern nur eine unendliche Müdigkeit. Sie ließ den Zeigefinger über die rot karierte Tischdecke gleiten und dachte an die beiden älteren Herren, die Schach gespielt hatten, als sie in das Café gekommen war. Einer von ihnen hatte sich erhoben, um die Toilette aufzusuchen, und stolperte dabei beinahe über ihre Tasche. Sie entschuldigte sich bei ihm, und er hatte erwidert, das mache nichts. Dann war er plötzlich stehengeblieben.
»Sie sind ja noch so jung, aber Ihre Augen sind alt. Sie müssen aufpassen, dass sie nicht noch älter werden«, hatte
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