Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
er gesagt. Sie starrte ihn verständnislos an, und er sprach weiter.
»Sie wissen doch, es gibt Wege, denen man nicht folgen muss, obwohl man sie einmal eingeschlagen hat. Verlorene Schafe werden immer wieder willkommen geheißen, es ist einfach, wieder nach Hause zu finden, solange man noch nicht zu weit vom Wege abgekommen ist.«
Danach hatte er nachdenklich genickt, die Hand gehoben und ihr über die Wange gestrichen. Seine Hand war kühl, und nach einer Weile geriet sie sehr in Versuchung, ihren Kopf auf seine Schulter zu legen und einfach loszulassen. Dann war dieser Moment aber schon wieder vorüber. Er war verschwunden und hatte sich dann wieder seiner Schachpartie zugewandt, die seine totale Aufmerksamkeit und die des Gegners beanspruchte. Die beiden waren vermutlich Brüder, denn sie sahen sich sehr ähnlich.
Jetzt begann die Dunkelheit aus den Ecken zu kriechen. Mari zündete die Teelichter auf den Tischen an und war fast damit fertig, als sie hörte, wie die Tür aufging. Einen Augenblick lang bekam sie Angst, da sah sie, dass es Anna war. Sie
trug immer noch die Kleider von der Beerdigung, einen seegrasgrünen Rock, dazu eine blaue Tunika und einen muschelverzierten breiten Gürtel, der ihr eigenes schwarzes Kostüm wie deplatziert erscheinen ließ.
»Du hast mir einen Schrecken eingejagt.« Sie versuchte zu lächeln, obwohl ihr nicht sonderlich wohl zumute war. Anna erwiderte das Lächeln nicht.
»Das war nicht meine Absicht.«
Anna warf ihre Tasche auf einen Sessel, ging wortlos in die Küche und kam nach einer Weile mit zwei dampfenden Tassen zurück. Mari schaute in ihre, Kaffee mit geschäumter Milch und einigen Raspeln Bitterschokolade. Sie probierte, der Kaffee schmeckte nach Vanille. Sie dachte, dass sie so einen Kaffee auch einmal in ihrem Restaurant Murrughach servieren würde.
Anna nahm ihr gegenüber Platz und trank ebenfalls einen Schluck.
»Du scheinst bei dem Leichenschmaus ja wirklich deinen Spaß gehabt zu haben. Mit diesem Mann. War das Elsas Sohn?«
Mari spürte, wie sie errötete.
»Ja«, erwiderte sie so gleichmütig wie möglich. »Das war Elsas jüngster Sohn. Er heißt Lukas und ist recht nett. Rechtsanwalt.«
Anna seufzte.
»Ich weiß. Leider«, erwiderte sie müde.
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, dass wir ziemlich in der Scheiße stecken und dass ein Rechtsanwalt in der Familie die Sache auch nicht besser macht.«
Anna erhob sich, zog die Gardinen vor und fuhr dann fort.
»Elsa hat für uns Reklame gemacht. Kleopatras Kamm , das Unternehmen, das all deine Probleme löst. So hatten wir doch unsere Geschäftsidee einmal formuliert. Na gut. Wie wir wissen,
ist sie überzeugt davon, dass wir ihres gelöst haben. Jetzt sollen wir die von anderen Leuten lösen. Hast du den älteren Mann neben mir gesehen, oder hat während des Essens Lukas Karlsten deine Aufmerksamkeit vollkommen in Anspruch genommen?«
»Natürlich habe ich ihn gesehen. Etwa achtzig, schätzungsweise. Wenig Haare. Es wirkte so, als würdet ihr euch über irgendwas Erfreuliches unterhalten. Er schien von dir fasziniert zu sein.«
Wie alle Männer, dachte sie müde, dieses Mal jedoch ohne eifersüchtig zu werden.
»Fasziniert? Vielleicht. Aber nicht auf diese Art, er hat seine einzige Liebe im Leben bereits gefunden. Die einzige Liebe. Verstehst du? Er glaubt nämlich, dass zwei Menschen füreinander geschaffen sind, und dass Ehen mehr oder minder im Himmel gestiftet werden. Glaubst du das auch?«
Ceratias holboelli. Du bist die, die du für mich sein sollst.
»Das habe ich vielleicht mal geglaubt«, erwiderte sie vorsichtig. »Du weißt vermutlich, dass ich das geglaubt habe, aber ich habe mich geirrt.«
Anna drang nicht weiter in sie, sondern fuhr fort.
»Jedenfalls ist er davon überzeugt. Seine Frau heißt Anna, genau wie ich, und er sagt, sie hätte mir früher sehr ähnlich gesehen. Sie lernten sich bereits auf dem Schulhof kennen. Dann lebten sie vergnügt und zu zweit, da sie keine Kinder bekamen, bis Anna krank wurde. Sie war verwirrt und musste in ein Heim. Alzheimer. Dann noch ein Schlaganfall. Jetzt liegt sie im Koma.«
»Wirklich tragisch. Wie alt ist sie?«
»Wie er, nehme ich an. Um die achtzig. Aber ehe sie ins ewige Vergessen verschwand, nahm sie ihm ein Versprechen ab. Sie wollte keine dahinvegetierende Scheintote werden, die auf die Hilfe Fremder angewiesen ist. Wer will das schon? Deswegen musste Annas Mann auch auf die Bibel schwören, ihr
zu helfen, falls es so weit
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