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Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm

Titel: Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Ernestam
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anschauen. Er will Wracks sehen und alte Männer, die ihre Schafe hüten. Graue Ruinen, die an Kelten und Krieg erinnern. Dass die Leute trotzdem bequem wohnen wollen, ist eine andere Sache. Je seltener das Authentische wird, desto mehr fühlen sich die reichen Touristen von dieser Insel angezogen. Sie langweilen sich dermaßen, dass sie immer wieder nach einem ultimativen Kick suchen, um überhaupt weiterleben zu können. Von Irland sprechen sie im Zusammenhang mit Idylle oder auch Naturschönheit. Ich nenne es Armut.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ganz einfach. Unsere frühere Armut ist unsere größte Touristenattraktion, und der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle. Es geht also darum, das Alte zu bewahren, zumindest in Gegenden wie Connemara. Wenn es so weitergeht, dann sind wir Iren bald in unserem eigenen Land Statisten in einem Stück, das ›Der Mythos Irland‹ heißt. Wir müssen unsere Ruinen und einsturzgefährdeten Häuser pflegen, unsere Schafe und alten Leute und dafür sorgen, dass Letztere sich nicht zu modern kleiden und weiterhin brav fischen gehen. Vermutlich gilt das, was ich gerade sage, für die ganze Welt. Man sollte die Armut unter Denkmalschutz stellen. Damit die
Reichen etwas begaffen können, bevor sie in ihren Hotelbetten unter Daunendecken und mit Klimaanlage bequem einschlafen.«
    Mari betrachtete das Wrack, vor dem ein älterer Mann gerade eine Staffelei aufgebaut hatte, um die Landschaft vor sich zu malen.
    »Findest du, dass das zynisch klingt?«
    »Überhaupt nicht, das ist realistisch.«
    David warf einem Vogel ein Sconebröckchen zu, und dieser schnappte es auf und flog über die Ruine hinweg auf den Horizont zu.
    »Aber du übertreibst, David. Natürlich ist das Hotel modern. Trotzdem schafft der Tourismus auch Arbeitsplätze und dadurch Wohlstand. Auch wir sorgen dafür. Früher hast du immer gesagt, die Touristen seien gut für die irische Wirtschaft. Ich glaube nicht, dass ihr irgendeine Armut pflegen müsst. Es reicht, dass ihr die Natur nicht zerstört, und ich glaube auch nicht, dass ihr das tun werdet. Ist die Landwirtschaft nicht überhaupt eine wichtige Einnahmequelle? Die Schafe und Pferde werden vermutlich bleiben, auch wenn sich die Bauern anders kleiden.«
    David wandte sich ihr zu und nahm ihr Gesicht in die Hände.
    »Du bist so unschuldig, Mari. Du bist wirklich so … gutgläubig. Meine Mari. Du bist ein Engel. Seit ich dir begegnet bin, glaube ich an Gott.«
    Dann küsste er sie. Erst langsam und vorsichtig und dann so fest, dass es beinahe weh tat.
    »Das war …«, flüsterte sie, als sie wieder Luft holen konnte, und wollte sagen, das sei das Schönste, was sie je gehört hätte. Jemals. Er brachte sie mit seinen Lippen zum Schweigen, und sie fügte sich und schob den Gedanken daran beiseite, dass sie ihm eigentlich nicht glaubte. Sein Gott war von Anfang an auf ihrer Seite gewesen. Sein schöpferischer Gott. An den er
immer geglaubt hatte, trotz seiner Unzuverlässigkeit und den Enttäuschungen. Der Gott, von dem er auf dem Friedhof in Carna gesprochen hatte.
    Sie zahlten und wanderten auf die Ruine zu. Vögel hatten in den Trümmern des Turms ihre Nester gebaut, und das Gras zwischen den Steinen war zertreten. Einige Leute saßen auf der Erde und picknickten, und das Meer war plötzlich nicht mehr blau, sondern grau. Erst auf dem Heimweg, als das Fischerboot den Hafen verlassen und schon die halbe Strecke zurückgelegt hatte, begann er wieder zu sprechen. Sie stand allein an der Reling und schaute ins Wasser. Er umarmte sie von hinten.
    »Wenn es mit der Armut vorbei ist, dann haben wir immer noch das Meer«, sagte er, »das vollkommen unerforschte Meer, das uns nur ahnen lässt, was sich in der Tiefe bewegt.«
    »Was gibt es da noch zu erforschen? Ich dachte, die Menschheit hätte das Meer ebenso skrupellos ausgebeutet, wie sie deiner Meinung nach Irland ausgebeutet hat?«
    David umarmte sie noch fester.
    »Weißt du, dass sechzig Prozent der Erdoberfläche aus Meeresboden besteht und dass wir diese Welt schlechter kennen als den Mond? Lange glaubte man, dass dort unten in der Dunkelheit keine Tiere existierten. Aber es gibt dort welche. Vielleicht zehn Millionen verschiedene Arten, und wir kennen nur einen Bruchteil davon. Also ist der Ozean eine Sammelstätte für viel mehr Lebewesen, als wir uns vorstellen können. Riesige Tintenfische, die zwanzig Meter lange Arme haben und eine Tonne wiegen können. Fische, die durch die Dunkelheit schwimmen und ihre

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