Mord Wirft Lange Schatten: Mitchell& Markbys Dreizehnter Fall
schuldig aus, als er gegangen ist. Jetzt weiß er, dass du die Oakleys kennst und dass du dich für ihr Wohlergehen interessierst. Was hältst du von Jan Oakley?« Alan dachte nach, bevor er antwortete.
»Ich fand ihn eigentlich ein wenig erbärmlich.«
»Du solltest kein Mitleid für ihn empfinden«, drängte Meredith und vergaß völlig, dass sie noch Augenblicke zuvor die gleichen Gefühle gehabt hatte und ihr Unwohlsein angesichts der Rolle, die sie gespielt hatte.
»Es ist ein Trick von ihm. Ich bin auch eine Weile darauf hereingefallen. Juliet nicht.«
»Ich habe nicht gesagt, dass er mir Leid tut«, entgegnete Markby und schüttelte den Kopf, dass seine blonden Haare ihm wie üblich bei dieser Bewegung in die Stirn fielen.
»Ich bin Polizist, du erinnerst dich? Mein Gefühl von Mitleid beschränkt sich strikt auf jene, von denen ich ganz genau weiß, dass sie es verdienen, und mir scheint, das sind immer weniger Leute. Möchtest du meine ehrliche Meinung hören? Ich stimme mit dir und Juliet überein. Er ist ganz bestimmt ein Schauspieler und vielleicht tatsächlich ein Trickbetrüger. Doch das ist nicht bewiesen.« Ohne auf eine Antwort seitens Meredith zu warten, fügte er hinzu:
»Er ist kein Tierarzt, darauf würde ich meinen letzten Penny verwetten. Ich würde sagen, er arbeitet im Freien und mit Tieren. Ein Stallbursche vielleicht, auf dem Gestüt, von dem er dir erzählt hat? Aber definitiv kein Akademiker, kein Tierarzt.«
»Also hältst du ihn für einen Lügner?«, hakte Meredith nach.
»Ich denke, dass er – zumindest was seinen Beruf angeht – gelogen hat, ja. Ich nehme an, er sagt die Wahrheit, wenn er behauptet, ein Oakley zu sein.«
»Und warum hat er gelogen, was seine Arbeit angeht?«, fragte Meredith. Alan bedachte sie mit einem toleranten Blick.
»Ach, komm schon. Junge Männer lügen aus allen möglichen Gründen. In seinem Fall wahrscheinlich, um sein Image aufzupolieren und eine schöne Frau zu beeindrucken, die er in einem Zug kennen gelernt hat. Schön, es ist albern, aber es ist auch verständlich. Sieh es doch von seinem Standpunkt aus. Er kommt aus dem Nichts nach England, kennt keine Menschenseele. Er will einer attraktiven Frau imponieren. Er mag ein Dieb und ein Nassauer sein, doch er will nicht aussehen wie einer. Das ist menschlich.«
»Denkst du über alle Gauner so, mit denen du zu tun hast?« Merediths haselnussbraune Augen funkelten ihn indigniert an.
»Selbstverständlich nicht! Allerdings begegne ich einer ganzen Menge Gaunern, einige von ihnen sind absolute Halunken, andere erbärmliche kleine Wichte. Falls Jan ein Gauner ist – und das ist noch lange nicht bewiesen – dann gehört er jedenfalls zur zweiten Kategorie.«
»Er ist ein Ganove«, beharrte Meredith.
»Er versucht, Geld aus seinen Cousinen zu pressen.«
»Ja-ja.« Alan blickte nachdenklich drein.
»Vielleicht hat er einfach die Situation nicht begriffen. Er kommt aus Polen, wo er wahrscheinlich in einer winzigen Mietwohnung lebt, wie ich zu behaupten wage. Die Oakley-Schwestern leben in einem Herrenhaus auf einem riesigen Grundstück, nur die beiden ganz allein. In seinen Augen bedeutet das, sie sind reich. Mehr noch, sie gehören zu seiner Familie. Warum sollten sie einem armen Verwandten nicht helfen? Versuch es mit seinen Augen zu sehen.«
»Das Haus ist völlig heruntergekommen und droht zu verfallen«, entgegnete Meredith.
»Wenn er das nicht sehen kann, ist er blind. Damaris und Florence tragen alte Kleidung und ernähren sich von Sandwichs.«
»Dann sind sie eben reich und exzentrisch. Es muss schwierig sein, sich ihre genauen Lebensverhältnisse vorzustellen. Vornehme Armut liegt außerhalb dessen, was er kennt. Was dieses angebliche Testament seines Urgroßvaters angeht, so hat er sich vielleicht eingeredet, dass er ein Recht auf einen Anteil am mutmaßlichen Reichtum der Oakleys hat. Er mag einem Tagtraum nachgehangen haben, ein englischer Gentleman mit einem großen Landhaus zu sein – du kennst doch diese Sorte.«
»Nun, dann sollten wir ihn besser aus diesem Traum aufwecken, und zwar ziemlich schnell. Ich rede noch mal mit Juliet.« Eine Stimme über ihren Köpfen unterbrach sie.
»Das ist ein schleimiger kleiner Mistkerl, jawohl«, sagte die Stimme böse. Verblüfft sahen sie auf. Eine große Frau mit weißblonden Haaren in einem orangefarbenen Pullover, der übersät war mit goldenen Sternen, war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Sie stand in ihrer üppigen Erhabenheit
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