Mord zur Bescherung
zu spät zur Premiere von Cinderella zu kommen. Ihre Mutter hatte natürlich die Titelpartie übernommen. Na gut, sie war vielleicht ein winziges bisschen zu alt dafür, aber das galt für das übrige Ensemble auch. Die Seniorentheatergruppe von Bath machte ihren Mangel an Jugend durch Begeisterung wett.
Natürlich würde sie sich dieses Weihnachtsspiel ansehen, und Doherty würde sie begleiten – obwohl er noch nichts von seinem Glück ahnte.
Inzwischen wollte sie an dem Mord dranbleiben. Einmal umgebracht zu werden, das war schon ziemlich grausig, aber dreimal, das war äußerst ungewöhnlich. Sie erwähnte dies gegenüber Mary Jane und schwor sie auf äußerste Geheimhaltung in dieser Sache ein.
»Ich habe schon mal was davon gehört«, meinte Mary Jane. »Die alten Britannier haben das in ihren Ritualen gemacht.«
Honey runzelte die Stirn. »Nie gehört. Wann soll denn das gewesen sein?«
»Etwa um die Zeit, als Königin Boudicca 6 hier gewütet hat.«
Honey kam die beste aller Ideen. Wie wäre es, wenn sie diejenige wäre, die diesen Fall löste? Sie sah die Schlagzeile schon vor sich. Hotelbesitzerin schnappt Scrimshaw-Mörder . Das würde die Einnahmen ordentlich in die Höhe treiben!
John Rees rief an und fragte, ob sie Lust hätte, auf einen kleinen vorweihnachtlichen Drink vorbeizuschauen. »Ich habe sogar Sherry. Ich weiß doch, wie sehr ihr Briten euren Sherry liebt.«
Sie sagte zu, sie würde unverzüglich kommen, aber bitte nur auf einen kleinen Sherry. Was sie ihm nicht verriet, war, dass sie Sherry überhaupt nicht mochte. John war wirklich sehr süß, aber leider auch der Sherry.
Cobblers Court war nicht weit von Johns Buchladen entfernt. Sie beschloss, erst dort vorbeizuschauen und sich dann zu seinem Laden aufzumachen.
Tief in ihren warmen Mantel gekuschelt, bot sie dem Winterabend die Stirn. Wieder hing Nebel über der Stadt wie ein Stück feuchter Musselin. Die Luft wurde schneidend kalt, der Mond ging auf, und für die Nacht war starker Frost vorhergesagt.
Die Schaufenster erstrahlten noch im hellen Licht. Am hübschesten sahen die alten Fenster aus, die sich leicht vorwölbten. Honey kniff die Augen ein wenig zusammen und versuchte sich vorzustellen, dass die Leute, die hier vorbeispazierten, Krinolinen und Schutenhüte trugen. Das war nicht leicht, denn selbst die hübschesten jungen Frauen hatten schwarze Leggings, schwere Stiefel und wattierte Jacken an.
Sie seufzte. Na gut. Das war eben der Fortschritt.
Cobblers Court war eine ganz andere Sache. Bildete sie sich das nur ein, oder war es dort wirklich dunkler als anderswo und womöglich noch nebliger?
Zu beiden Seiten der Tür, die in die Büros von Mallory und Scrimshaw führte, standen Polizisten. Höchstwahrscheinlichwürden hier während der Feiertage durchgehend Beamte Wache stehen und mit den Füßen stampfen, um sich warm zu halten.
»Frohe Weihnachten!«, rief jemand.
Wie aufs Stichwort begannen Schneeflocken wie Konfetti aus dem schmalen Streifen Himmel zwischen den Gebäuden herunterzurieseln.
Jemand stand mit zwei dampfenden Henkeltassen unten an der Treppe, die zum Frisörsalon Hummeln unterm Hut hinaufführte. Die Polizisten ließen sich nicht lange bitten. Sie stapften hinüber und nahmen dankbar die heißen Getränke entgegen.
Ab und zu kam jemand vorbei, aber das anfänglich große Interesse an dem Mord war abgeflaut. Das lag natürlich auch daran, dass noch Weihnachtseinkäufe in letzter Minute zu erledigen waren und in manchen Schaufenstern schon Schilder den Winterschlussverkauf ankündigten.
Während Honey noch überlegte, ob sie sich ins Gebäude von Mallory und Scrimshaw schleichen sollte, bemerkte sie, dass sie nicht allein war.
Es stand noch jemand am Eingang der Gasse, die in den Cobblers Court führte. Der Mann war groß und hatte breite Schultern. Zunächst dachte Honey, dass er sie beobachtete. Bei näherem Hinsehen bemerkte sie aber, dass er die Polizisten im Auge hielt und dabei ganz reglos und nachdenklich dastand, als grübelte er über etwas nach.
Plötzlich war er nicht mehr allein. Lindsey gesellte sich zu ihm. Der Mann war Professor Jake Truebody.
Honey verspürte den übermächtigen Impuls, sofort hinzurennen und ihre Tochter zu warnen, dass dieser Mann nicht der Richtige für sie sei. Aber das konnte sie nicht tun. Außerdem wäre sie am liebsten nicht hier gewesen, denn am Ende würde sich Lindsey vielleicht beschweren, dassihre Mutter sich in alles einmischte. Großer Gott, sie
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