Mord zur Geisterstunde
wirklich.
»Mein Urgroßvater ist Anfang letzten Jahrhunderts ausgewandert. Einer seiner Söhne ist drüben geblieben, der andere kam zurück. Das war mein Großvater, dem dieses Haus gehört hat.«
»Und der alte Filme und dergleichen gesammelt hat«, ergänzte Honey.
Er nickte. »Genau.«
Der Mann draußen war inzwischen mit dem Hämmern fertig, und das Schild stand fest im Garten.
»Wieso hat Ihre Kusine nur so kurz bei Ihnen gewohnt?«
Er seufzte tief und knirschte beinahe mit den Zähnen. »Das |198| habe ich Ihnen doch schon erzählt. Sie wollte im Stadtzentrum wohnen, um sich alle Sehenswürdigkeiten anschauen zu können.«
»Haben Sie sie gemocht?«
»Ich kannte sie nicht besonders gut.«
Er zuckte nicht mit der Wimper, als er das sagte.
Sie erkundigte sich nicht, wann er seine Kusine das letzte Mal gesehen hatte.
Als sie alle Fragen gestellt hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu gehen. Sie wollte auch fort. Irgendwie bereitete ihr die Atmosphäre in diesem Haus Unbehagen. Vielleicht lag es aber auch nicht am Haus. Vielleicht lag es am Besitzer.
Honey zwang sich, noch ein bisschen länger zu bleiben. Sie erkundigte sich, ob er die alten Filmrollen und Kameras bei einer Auktion versteigern wollte.
»Ja. Viel können sie ja nicht wert sein, aber ich muss ausmisten.« Er sagte das mit einem selbstgefälligen Lächeln.
Honey erinnerte sich an den Auktionskatalog. Waren das vielleicht die Gegenstände, die nicht mehr rechtzeitig angemeldet worden waren? Oder gab es ähnliche, aber viel wertvollere Rollen?
»Sagen Sie mal«, fuhr sie fort und zwang sich ein Lächeln aufs Gesicht, »hat Ihre Kusine irgendwas für eine Auktion angemeldet?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste.«
»Waren Sie gemeinsame Erben?«
»Ja, und ehe Sie sich erkundigen: Nach ihrem Tod bin ich tatsächlich der Alleinerbe.«
»Vielen Dank für diese Auskunft, wenn ich auch nicht danach fragen wollte.«
Weil das gar nicht mehr nötig war, dachte sie, denn ich hatte es bereits erraten.
Der Türklopfer klapperte, als sie die Tür hinter sich schlossen.
Honey schauderte. »Der Mann macht mir echt Gänsehaut.«
»Aber das Häuschen ist schön«, sagte Lindsey und schaute über die Schulter zurück. Plötzlich zog sie die Stirn kraus.
|199| Lindseys Gesichtsausdruck riss Honey aus ihren Grübeleien. »Was ist?«
»Ich kann ihn durchs Fenster sehen.«
»Beobachtet er uns? Jede Wette! Der perverse Fiesling!«
Lindsey drehte sich noch einmal um. »Er sieht nicht uns an. Er schaut ganz verliebt auf etwas, das er in der Hand hält.«
»Ha! Hab ich dir doch gesagt! Pervers!«
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Ashwell Bridgewater presste die Filmspule an die Brust und beglückwünschte sich, dass er sich so gut aus der Affäre gezogen hatte. Nun waren diese Frauen endlich weg, und sein wahres Lächeln kam zum Vorschein, arrogant und selbstzufrieden. Das andere, künstlich aufgesetzte gehörte zu der öligen Stimme, die er im Call Center einsetzte. Sein eigenes, echtes Lächeln war ein wenig schief, erreichte wegen einer leichten Muskellähmung nur eine Seite seines Mundes. Niemand, der ihn ansah, würde diese kleine Unebenheit in seinem Gesicht bemerken, denn normalerweise vermied er das breitere Lächeln sorgsam.
Diese dämlichen Weiber! Da lag der Schatz vor ihren Augen, nur lose in Blasenfolie eingeschlagen. Er hatte bemerkt, dass ihr Blick darauf gefallen war. Sie hatte dem Ding nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt als all dem anderen Kram – dem wertlosen Tand. Aber selbst das wertlose Zeug würde ihm noch ein paar Hunderter einbringen. Dieses Schätzchen jedoch! Er tätschelte es, spürte die Wärme der Noppen unter seinen Fingern. So ein blödes Weib! Die hatte ja keine Ahnung!
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Mary Jane war schon mit qualmenden Reifen losgerast, ehe Honey und Lindsey eine Chance hatten, die Sicherheitsgurte zu schließen. Honey überprüfte noch einmal die Adresse, die ihr das Hotel gegeben hatte, aus dem die Georges ausgezogen waren.
»Winsley«, sagte sie. »Das ist gleich die kleine Straße hinter den Seven Stars.«
Im Gegensatz zu dem Märchenhaus in Northend war dieses Gebäude viel später entstanden und hatte nur zwei Stockwerke. Statt eleganter Fenster mit Steinstreben hatte es ein großes Erkerfenster, das genau wie die Tür von einer lila blühenden Glyzinie überwuchert war. Zwischen dem Parkplatz und dem hinteren Teil des Gartens rankte sich eine gelbe Kletterrose am Haus hinauf. Eine
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