Mord zur Geisterstunde
vagen Schatten, Gespenstern der Vergangenheit.
Sein Nachbar hatte sich erhoben und verdeckte das Licht. Simons Hirn war inzwischen so taub und teilnahmslos wie sein Körper. Die Reiseprospekte fielen zu Boden. Die dunkle Gestalt bewegte sich zum Ausgang.
»Viel Spaß mit der Show, alter Junge.«
Eine Hand legte sich zum letzten Mal auf seine Schulter.
Simon starrte auf die Tänzer auf der Bühne, nahm sie aber nicht war. Er merkte auch nicht mehr, dass die Hand seine Schulter losließ. Simon Taylor war am Ende all seiner Reisen angekommen.
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»Würste! Wir brauchen Würste! Sieh doch nur!« Smudger der Chefkoch stand da wie die Freiheitsstatue, die einzige noch übrig gebliebene Wurst in der rechten Hand hoch in die Luft gereckt. »Das ist meine Letzte!«
Honey schaute hin. Normalerweise waren die Würste, die sie servierten, prall und saftig in der Haut. Diese hier war schlaff, traurig – und die letzte ihres Stammes.
Der gute Ruf eines Hotels steigt und fällt mit einem umfangreichen englischen Frühstück. Der Speck musste mager sein, die Eier frisch und die Würste mild gewürzt und fleischig. Ein bestimmter Tag im Wochenablauf war für das Abholen der Würste reserviert.
Gewöhnlich schloss sich ein ganzer Einkaufstag an, sobald die Wurstlage gesichert war. Bath bietet eine unschlagbare Vielfalt an Würsten, besitzt sogar einen Metzgerladen, der nur auf Würste spezialisiert ist. Gleich nebenan liegt ein tolles Fischgeschäft. Honey machte keine halben Sachen. Und so war nach dem allwöchentlichen Überfall auf die Lieferanten saftiger Würste und exotischer Fische meist Zeit für Tee und Scones im Pump Room. Dies war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen Mutter und Tochter sich ein wenig Zeit für sich nahmen.
Heute malte Honey Strichmännchen auf die handgeschriebene Einkaufsliste. »Eigentlich sollte ich die Bestellung lieber telefonisch durchgeben. Zum einen haben wir gerade diese Morduntersuchung, und dann muss ich mir noch den neuen Laden deiner Großmutter ansehen. Sie lässt ihn frisch streichen, aber ich möchte mal reinschauen, ehe alles wie geleckt aussieht.«
Lindsey hielt sie gerade noch zurück, ehe sie zum Hörer greifen konnte. »Du brauchst eine Pause. Auch deine kleinen grauen |246| Zellen könnten mal einen Tag frei machen. Und ein Kaffee und ein einziges Sahnetörtchen können doch deine Taille nicht ernsthaft gefährden!«
Als sie gerade debattierten, ob sie ein Taxi nehmen sollten, kam Mary Jane durch die Eingangstür gestürmt und wirbelte frischen Wind ins Hotel. Sie wirkte ganz aufgeregt. Außerdem trug sie erdbeerrote Leggings. Die Taille ihres Oberteils war mit Plastikerdbeeren und einem rosa Band verziert, und auch an ihren Ohren baumelten Plastikerdbeeren. Das Outfit hatte etwas von einem aufgeregten Ausflug von Erdbeeren in die Marmeladenfabrik.
Mary Jane erkundigte sich nach dem Ziel der Expedition von Mutter und Tochter. Die beiden machten den Fehler, ihr die Wahrheit zu sagen.
»Ich bestehe darauf, euch mit dem Auto hinzufahren. Ich bin fit wie ein Turnschuh, und mein Mädelmobil braucht mal wieder eine rasante Ausfahrt.«
Honey erbleichte. »Das ist ein Cadillac, kein Rennauto!«
»Doch, wenn Mary Jane am Steuer sitzt, ist es ein Rennflitzer«, murmelte Lindsey.
Dieser Wortwechsel ging an Mary Jane völlig vorüber. Ihre Augen glitzerten vor Aufregung. »Na, der Wagen ist vielleicht schon ein bisschen in die Jahre gekommen, aber wenn ich das Gaspedal bis zum Anschlag durchtrete, fetzt das alte Mädchen noch ganz schön los!«
Beim bloßen Gedanken, dass sie mit sechzig, wenn nicht hundert Sachen die Milsom Street entlangrasen würden, bekam Honey zittrige Knie.
»Green Street ist doch gar nicht weit weg«, beteuerte Honey. »Da kann man gut zu Fuß hingehen.«
Mary Jane war unbeirrbar. »Ich lasse mich nicht mit einem Nein abspeisen. Du wirst nicht jünger, Mädchen, und deine Beine auch nicht.«
Toll, so was zu hören!
»Danke vielmals.«
»Der Wagen steht draußen.« Plötzlich lehnte sich Mary Jane |247| ganz nah zu ihr herüber. Sie hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt. »Ich möchte dir auch etwas erzählen, was ein neues Licht auf den Mordfall werfen könnte.«
Über den Wahrheitsgehalt dieser Aussage war sich Honey nicht sicher. Aber na ja, zum Teufel, sie ließ sich drauf ein.
»Ich komme mit«, sagte Lindsey, nachdem Honey ihr beteuert hatte, das wäre nicht nötig.
Keiner außer Mary Jane wagte, draußen vor dem
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