Mordlast
hören.
»Gut. Ich komme in Ihr Büro.«
»Mir wäre es lieber, wenn wir uns woanders treffen könnten. Waren Sie schon einmal im Shōchū?«
»Äh, nein. Ich kenne das Lokal nicht einmal.«
»Es ist neu. Gut, dann treffen wir uns dort. Ich schicke Ihnen eine SMS mit der Adresse.«
Davídsson verließ die Kabine, ohne zu spülen, aber er wusch sich gründlich die Hände, bevor er auch den Waschraum verließ.
Als er die breite Einfahrt mit dem Pförtnerhäuschen verließ, hatte er schon die Nachricht mit der Adresse auf seinem Handy. Er war jetzt mindestens genauso aufgeregt wie zu dem Zeitpunkt, als er hierhergekommen war. Was ist los mit mir?, fragte er sich, als er sich in den Verkehr einfädelte.
Über der Stadt hingen dichte schwere Wolken. Die Spitze des Fernsehturms war darin verschwunden. Das gab der Szenerie eine beinahe mystische Aura. So tief hingen die Wolken über Berlin nur selten, wenn man dabei an die sprichwörtlichen Wolken dachte.
Lovísa hatte sich nicht gemeldet und er fragte sich, was sie den ganzen Tag über machte, wenn er arbeitete. Sie hatte im Gegensatz zu ihm keinen Deutschunterricht in der Schule belegt und konnte nur ein paar Worte. Sie sprach Isländisch und Dänisch, aber beides half in dieser Stadt wohl kaum weiter.
Er versuchte den Gedanken beiseitezuschieben, als er die Bar über einen schmalen Gang betrat. Die Wände waren mit Jade verkleidet, die indirekt mit grünlichem Licht vom Fußboden angestrahlt wurde.
Davídsson lief über die dezent leuchtenden Milchglasplatten auf ein beinahe lebensgroßes Pferd zu.
Die Bar war ganz nach seinem Geschmack. Die Farben waren warm und doch nicht zu erdrückend. Es gab einen Kamin, der hinter einer Glasfront Wärme spendete. An einer Wand sah er chinesische Schnitzereien, die mit Blattgold überarbeitet worden waren. Es sah extravagant aus, aber nicht aufdringlich und schon gar nicht billig.
Er setzte sich ihr gegenüber auf einen gelblichen Hocker mit Fellmuster. Er wusste ihren Namen, obwohl sie sich ihm nie vorgestellt hatte. Er hatte ihn an der Tür zu ihrem Büro gelesen, aber keiner hatte ihn je gesagt: Martina Krug.
»Ein schönes Ambiente, um Akten zu studieren«, sagte er, weil ihm nichts Besseres einfiel.
Als er sich ihrem Tisch genähert hatte, hatte er eine helle Jeans gesehen, die ihre Figur betonte. Was mache ich hier?, hatte er sich im gleichen Augenblick gefragt. Hat sie mich zu einem Rendez-vous hierher gebeten?
Sie saß auf einer schwarzen Lederbank und hatte seine Blicke beobachtet. Er hatte den Eindruck, als triumphiere sie innerlich, aber sie sagte nichts.
»Ich hatte gehofft, dass es Ihnen gefällt.« Sie trug ihre dunklen Haare jetzt zusammengesteckt über eine weiße Bluse wallend.
»Sie sehen so aus, als könnten Sie neue Eindrücke genießen. Ich kann Ihnen deshalb zwei Cocktails besonders empfehlen. Der Shōchū-Haus-Aperetif oder der Chugoku könnte zu Ihnen passen.«
»Ich überlasse Ihnen die Wahl.«
Sie bestellte beide Getränke und überließ es dem schwarz gekleideten Kellner, wo er welchen Cocktail hinstellte.
»Sie haben etwas für mich?«, fragte er, nachdem er einen Schluck genommen hatte. Der Cocktail sagte ihm tatsächlich zu. Er schmeckte Aromen von Trauben, Jasmin und Holunder heraus.
»Ja.« Sie schob ihm zwei schmale Akten über den quadratischen Mahagonitisch.
Er las die beiden Namen, die sie ihm schon bei seinem Besuch in ihrem Büro gesagt hatte. Er nahm die erste Akte, auf der ›Alfons Propstmeyer‹ stand.
»Er war bei uns als Ingenieur für die Planung von U-Bahn-Tunneln und Brücken während des Zweiten Weltkriegs beschäftigt. Damals war er wohl noch sehr jung. Irgendwann während des Kriegs ist er offenbar nach Österreich gegangen und hat dort gearbeitet. Soweit ich herausbekommen habe, war er dort in der Stahlindustrie tätig.«
»Warum hat er die BVG verlassen?«
»Die Arbeit bei uns war nicht seine eigentliche Arbeit.«
»Aha.« Davídsson nahm noch einen Schluck. Es gelang ihm langsam wieder, sich auf den Fall zu konzentrieren. Die Typen von der Innenrevision würde er schon irgendwie abkanzeln können.
»Er hat eigentlich für die Hauptverwaltung der Reichsbahngesellschaft gearbeitet und war im Prinzip nur an die Berliner Verkehrs-AG – so hieß die BVG damals – ausgeliehen.«
»Und dort, was hat er dort gemacht?«
Sie blätterte in den Unterlagen.
»Er hat Planungsaufgaben für Germania wahrgenommen.«
Davídsson überkam ein Gefühl, das ihn
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