Mordlast
Lenkrad betätigte. Er spürte, dass er am Nacken schwitzte, obwohl er die Temperatur der Klimaanlage auf ›low‹ eingestellt hatte.
Das Dilemma war immer das Gleiche: Entweder nahm er sich Zeit für sein Liebesleben oder für die Karriere. Beides hatte er nie unter einen Hut bekommen, so sehr er sich auch anstrengte. Er hatte mit Marian Zajícek oft darüber gesprochen, wenn dieser mehr Engagement beim Curling eingefordert hatte. Mittlerweile gab es einen Ersatzmann für ihn. Sie hatten sich daran gewöhnt, dass Davídsson kurzfristig ausfiel, und Davídsson hatte sich daran gewöhnt, nicht bei jedem Spiel dabei zu sein.
Aber das mit Martina war etwas anderes. Er mochte sie.
Er war versucht, es zu probieren.
Sie kannten sich noch nicht gut genug, um diese Entscheidung zu treffen, aber er spürte, dass er es versuchen wollte. Dass er bereit dazu war.
Vielleicht lag es daran, dass ihn die Innenrevision aufs Korn genommen hatte. Das hatte ihn irgendwie desillusioniert. Ihm war zum ersten Mal wirklich bewusst geworden, dass er nicht unersetzlich war, auch wenn er das nie von sich gedacht hatte. So arrogant war er nicht, aber er wusste, dass er gut war in seinem Job. Und er wusste, dass er gerne als Kriminalanalyst arbeitete.
Aber da gab es sonst nichts.
Er hatte seine Schwester, aber das war etwas anderes. Sie führte ein eigenes Leben mit eigenen Problemen.
Und sein Bruder war weit weg, auch wenn er ihn liebte. Sie hatten sich immer gut verstanden, aber es waren zugleich auch zwei Welten, in denen sie sich bewegten. Óðinn war ein Träumer. Er hätte sich nie so eingesetzt für einen Job, auch wenn er Ólafur Davídsson dafür manchmal beneidete. Aber es war eher der Neid auf das Geld und die Anerkennung, die er durch seine Arbeit beim BKA bekam, und nicht so sehr die Arbeit selbst, um die er ihn beneidete.
Davídsson schaltete das Radio ein. Das Geräusch der Klimaanlage begann ihn zu nerven.
Er beobachtete, wie die Schüler des Schadow-Gymnasiums zwischen den vier monumentalen Werksteinsäulen des Nordeingangs hervorströmten.
Der Radiosprecher wurde vom lauten Geschnatter der Schüler übertönt, die mit ihren Taschen und Rucksäcken vor seiner Frontscheibe vorbeizogen. Die Schüler der Oberstufe gingen zu ihren Autos. Machen unterhielten sich, andere umarmten sich oder küssten einander.
Bestimmt haben sie Hitzefrei bekommen, dachte er.
Die Schüler sahen hier größtenteils gepflegt aus. Ihre Eltern konnten es sich leisten, in Zehlendorf zu wohnen, anders als die Schüler in den Problemvierteln der Stadt, in denen der Ausländeranteil überwog und die Integrationsprobleme ebenfalls.
Er dachte an seine eigene Schulzeit im Menntaskólinn. Es waren nur wenige Schritte zwischen der Schule in der Hamrahlíð und dem heruntergekommenen Haus, in dem sie zu fünft wohnen mussten.
Die Schule war eine andere Zeit, auch wenn er das damals nicht so sah.
Der Schülerstrom riss nicht ab, obwohl er bereits die zweite Grünphase abgewartet hatte. Hinter ihm bildete sich eine lange Schlange, die aber geduldig darauf wartete, dass sie weiterfahren konnten. Die Anwohner waren es offenbar gewohnt, darauf zu warten, oder es waren ehemalige Mitschüler in den Autos, die die Situation von früher kannten.
Martina Krug wohnte nur ein paar Meter weiter in einer kleinen Seitenstraße mit noblen Einfamilienhäusern.
Er hatte die Adresse von ihrer Sekretärin erhalten, die bereitwillig ausplauderte, wonach er sie auch fragte. Davídsson hatte kurz gezögert, sie zu fragen, ob Martina Krug mit jemandem zusammenlebte, aber die Sekretärin war schon dabei, ihm zu erzählen, dass sie eine Einliegerwohnung in ihrem Elternhaus hatte, in der sie zurzeit alleine lebte.
Jetzt stand er unschlüssig vor der Tür eines backsteinernen Einfamilienhauses. Er stellte den Motor ab und mit ihm erstarb der angenehm kühle Luftstrom auf seiner Haut.
Davídsson spürte Schweiß auf seiner Stirn, als er ausstieg und den Klingelknopf betätigte. Er meinte, so etwas wie eine Bewegung hinter der geschwungenen Wohnzimmergardine gesehen zu haben, aber an der Tür tat sich nichts. Er versuchte locker zu wirken, als er noch einmal klingelte, aber dieses Mal bemerkte er im ganzen Haus keine Veränderung.
Die Schüler des Schadow-Gymnasiums hatten ihn auf die Idee gebracht.
Er war nach Tempelhof zur Werner-Stephan-Schule gefahren, um sich die Plakate der Schüler aus Lukas Propstmeyers Klasse anzusehen. Er hatte es über den Autobahnring
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