Mordlicht
Christoph stutzte. Auf der anderen Seite des Friedhofs bemerkte
er einen Mann, der sie mit einem Feldstecher beobachtete. Der Fremde hatte sich
auf dem schmiedeeisernen Geländer abgestützt, das das Grabfeld einfriedete. Er
hatte Christophs Zögern registriert, das Fernglas von den Augen genommen und
sich umgedreht.
»Jetzt interessiert mich aber, wer uns ständig
beobachtet.« Auch Mommsen hatte den Mann entdeckt. Der junge Kommissar
sprintete los und versuchte das Zentrum des Holms zu umrunden, während
Christoph ins Auto sprang. Doch auch der Fremde hatte schnell reagiert und sich
hinter das Lenkrad seines Fahrzeugs geschwungen, dessen Tür offen stand.
Christoph glaubte, den BMW wiederzuerkennen, der ihnen bei ihrer Fahrt nach Heide gefolgt war. Der Motor
des Wagens heulte auf und schoss mit quietschenden Reifen in Richtung Südholm
davon. Einen Herzschlag später war er in der kleinen Gasse mit dem
Kopfsteinpflaster verschwunden. Christoph umrundete den Kirchplatz und ließ
Mommsen zusteigen, der durch seinen Zwischenspurt ein wenig außer Atem geraten
war.
»Hast du etwas erkennen können? Das Kennzeichen?«
»Nein, tut mir Leid. Dafür war er zu schnell. Es war
ein dunkelblauer BMW aus der
Dreierreihe. Vom Kennzeichen habe ich nur erkennen können, dass die Ortskennung
bloß ein Zeichen umfasste.«
»Also kein Schleswig-Holsteiner«, stellte Christoph
fest. »Bei uns haben alle Kennzeichen mindestens zwei Buchstaben. Und Hamburg
war es auch nicht.«
»Merkwürdig. Wer hat ein Interesse daran, der Polizei
zu folgen?«
»Das würde ich auch gern wissen. Zumindest kann er
sich unserer vollen Aufmerksamkeit sicher sein.«
»Unerfahren scheint unser Verfolger nicht zu sein«,
meinte Mommsen. »Es ist uns nicht gelungen, ihm nahe zu kommen.«
»Wenn er aber ein wirklich guter Profi wäre, hätten wir
ihn nicht bemerkt. Entweder will er, dass wir wissen, das er uns folgt, oder er
ist doch nicht so geschickt, wie wir unterstellen.«
Da es zwecklos war, in dem ihnen nicht vertrauten
Gewirr von Gässchen die Verfolgung aufzunehmen, fuhren sie zurück durch die
Stadt zum Wikingerturm, jenem markanten Hochhaus am Ende der Schlei, das auch
ohne Navigationssystem nicht zu verfehlen war.
An der verschlossenen Haustür fand sich eine Unmenge
von Namensschildern. Auch Bruck-Hersanger war darunter. Die Betätigung der
Klingel blieb unbeantwortet. Nach einer Weile kam ein älterer Mann im grauen
Kittel, der ein wenig abseits den Weg fegte, zu ihnen herüber.
»Zu wem möchten Sie?«, fragte er und stützte sich
dabei auf dem Besenstiel ab.
»Zu Frau Bruck-Hersanger«, antwortete Mommsen.
»Vielleicht hört sie die Türglocke nicht. Können Sie uns öffnen?«
»Kein Problem«, erwiderte der Hausmeister freundlich.
»Vierundzwanzig«, ergänzte er noch hilfsbereit und meinte damit die Etage.
Der Fahrstuhl trug sie mit einem leichten Surren nach
oben. An den einzelnen Wohnungstüren waren aber keine Hinweise auf den
Wohnungsinhaber angebracht. Sie klingelten an mehreren Türen, bis ihnen
geöffnet wurde.
Eine Frau, deren Alter nur schwer zu bestimmen war,
öffnete. Das seidig glänzende blonde Haar fiel locker auf die bloßen Schultern.
Dem fein geschnittenen Gesicht sah man an, dass es mit gekonnter Hand
geschminkt war. Lidschatten unterstrichen den Ausdruck der großen Augen, die
wie zwei dunkle Seen beidseits der geraden Nase lagen. Wenn nicht schon Gesicht
und Haare eine Komposition waren, die den Blick auf sich zogen, so wären die
Augen des Gegenübers spätestens am tief ausgeschnittenen Dekolleté hängen
geblieben, das nur knapp verbarg, was Titelseiten und Aufklappbilder von
Herrenmagazinen gern präsentieren. Lediglich das Parfüm, das gleich nach dem
Öffnen der Tür den Hausflur füllte, wirkte eine Spur zu aufdringlich. Mit einem
Augenaufschlag, der ein wenig Erstaunen ausdrückte, sah sie auf die beiden
Beamten.
»Hei! Wieso zwei?«
Während Mommsen ein wenig irritiert aussah, hatte
Christoph verstanden, dass die Dame Besuch erwartete, aber nur einen Herrn.
Einen Kunden. Er unterdrückte ein leichtes Schmunzeln.
»Wir wollen zu Frau Bruck-Hersanger. Oder Herrn
Schöppe«, erklärte Christoph.
Ein Aufatmen ging von der Blondine aus.
»Sabine und Manfred wohnen dort drüben.« Sie zeigte
mit ihrer manikürten schlanken Hand auf die Tür einer schräg gegenüber
liegenden Wohnung. »Ich glaube aber, sie sind nicht zu Hause. Sabine scheint
verreist zu sein. Manfred habe ich heute schon gehört.
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