MordLust
eigentlichen Ausstellungsstücke, größtenteils Skulpturen und einige wenige Gemälde, waren an den langen Wänden aufgereiht. An der Rückwand stand ein fünf Meter langes Modell eines Wikingerschiffs, das aussah, als wäre es von völlig unbegabten Jugendlichen aus Holzabfällen gebaut worden. Das einzig Gute an dem Schiff war, dass sich im Heck eine Tür verbarg. Diese Tür führte auf eine Terrasse, und dorthin verschwand Anderson alle fünfzehn Minuten, um eine Zigarette zu rauchen.
Die Kunst war also Scheiße. Die Leute, die sich die Kunst ansahen, waren ebenfalls Scheiße. Sie waren zwar reich, aber nicht reich genug. Millionäre, gewiss, aber eine Million Dollar war heutzutage nicht mehr allzu viel. Eine Million Dollar gut angelegt ergab nach Abzug von Inflationsrate und Steuern ein Einkommen, das etwa den höchsten Sozialversicherungsbezügen entsprach.
Das war nichts. Das waren Peanuts. Dafür konnte man nicht mal einen BMW leasen; wenn man Glück hatte, bekam man einen Chrysler Minivan dafür. Man brauchte zehn Millionen; oder zwanzig Millionen. Und wenn man zu diesen Leuten gehörte, würde man todsicher nicht eine Million davon irgendeiner unscheinbaren Lesbe auf einer Ausstellung
von verbeulten Kotflügeln geben, oder was immer das hier sein sollte.
Anderson war das alles sonnenklar, doch ihre Vorgesetzten wollten, dass jemand zur Ausstellungseröffnung ging. Jemand, der lächelte und nickte und Hafercracker mit Ziegenkäse aß. Es kostetet sie ja nichts. Anderson wurde nicht dafür bezahlt. Es war eine freiwillige Zwangsveranstaltung außerhalb der Arbeitszeit. Die meisten kleinen Stiftungen hatten Arbeitsbestimmungen, die selbst den Besitzer eines Ausbeuterbetriebs in Saigon schockiert hätten.
Sie sah auf ihre Uhr. Vierundfünfzig Minuten hatte sie schon ausgeharrt. Bei weitem noch nicht genug. Sie schlenderte auf das Wikingerschiff zu, drehte sich nach den Besuchern um, und als sie glaubte, dass niemand sie beobachtete, ging sie durch die Tür hinaus.
Die Abendluft war nach der eisgekühlten Luft in der Galerie angenehm mild. Es wurde allmählich dunkel. Von der Terrasse aus konnte man über einen Rasen mit Ahornbäumen die nächtlichen Lichter der Innenstadt von Minneapolis sehen; ein schöner Anblick, wie Diamanten in einem Tic-Tac-Toe-Spiel. Sie kramte die Winstons aus ihrer Handtasche, zündete sich eine an, blies den Rauch aus, versuchte ihn von ihren Haaren fernzuhalten und dachte an Davenport, Claire Donaldson, Constance Bucher und Marilyn Coombs.
Das verdammte Geld. Es drehte sich alles immer nur ums Geld. Die falschen Leute hatten welches – Erben, Autohändler, Versicherungsleute und Konzernchefs, die ohne eine einzige ästhetische Regung durchs Leben gingen, die eine Ente auf einem Teich bei Sonnenuntergang für Kunst hielten.
Oder die Leute, die sich einen Bildband über Minimalismus kauften, weil sie glaubten, dass sie dadurch mitreden könnten, auch wenn sie nicht im Big Apple, sondern nur im Miniapple wohnten. Aber sie waren trotzdem nichts weiter als ein Haufen geldgeiler Parvenüs, die Männer mit ihren waschmaschinengroßen
Rolex-Uhren und die Frauen mit ihren Kettchen mit dem Solitär-Anhänger, der ewige Liebe symbolisieren sollte, zwischen den Titten, denen noch nicht klar war, dass »ewig« bedeutete, bis eine kam, die fünfzehn Jahre jünger war und dickere Titten hatte.
Verdammt, wie satt sie das alles hatte!
Sie zuckte zusammen, als die Tür aufging. Eine rothaarige Frau ungefähr in Andersons Alter trat hinaus. »Hab ich doch richtig gesehen, dass du hierher verschwunden bist«, sagte sie und nahm eine Packung Salem aus ihrer Handtasche. »Ich wollte gerade anfangen zu schreien.«
»Ich hab dich mit den Redmonds reden sehen«, sagte Anderson. »Hat’s was gebracht?«
»Nicht viel. Ich versuche, die Frau zu bearbeiten«, erwiderte die Rothaarige. Ein Streichholz flackerte auf, die Frau inhalierte, blies den Rauch aus und sagte dann: »Wenn ich Glück hab, krieg ich von denen fünftausend im Jahr.«
»Ich würd das nehmen«, sagte Anderson. »Wir könnten uns einen neuen Fernseher für unseren Aufenthaltsraum kaufen.«
»Natürlich nehm ich es. Es ist nur so …« Sie machte eine resignierte Handbewegung.
»Ich weiß«, sagte Anderson. »Ich hab mich an Carrie Sue Thorson rangemacht. Sie hat ihre DNA analysieren lassen. Sie ist zu neunzig Prozent Nazi pur. Die restlichen zehn Prozent stammen von einem Russen, der sich durch die Hintertür eingeschlichen
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