Mordsdeal
spät hatte sie daran gedacht, wie sehr sie sich selbst in die Misere ritt. Die Aktion war brandgefährlich für sie. Manchmal war sie aber auch zu dämlich.
Hilla nahm ihre Brille ab, sah alles verschwommen und kniff die Augen zusammen. Mit der rechten Hand massierte sie die tiefe Kerbe, die sich in ihrem Nasenrücken eingegraben hatte. Das brachte kurzfristige Erleichterung.
Sie schwor sich, nicht das zu machen, was Romeo ihr aufgetragen hatte. Sollte das Klinikum ruhig anrufen und sich vergewissern wollen, ob alles rechtens war, sie würde tatsächlich die Rolle ihrer Schwester spielen und sagen, dass sie keinesfalls wollte, dass Heiner unters Messer kam. Da musste sie ihre eigene Haut retten, da stand sie sich selbst am Nächsten.
Wie viel Zeit mochte sie noch haben, um ein dringendes Telefonat zu führen, bis das Klinikum anrief und bis Romeo wieder zurück war? Musste er nicht schon längst hier sein? Sie setzte die Brille auf, drückte die Zahlen und sprach auf den Anrufbeantworter.
*
Mia öffnete den Briefkasten. Das Übliche: Rechnungen, Reklame und nur ein einziger Brief. Sie öffnete den anonymen Umschlag und war auf alles gefasst.
Halb so wild: Er war vom Single-Club. Es war eine persönliche Einladung nach Düsseldorf zum Stammtischtreffen. In kleinen Textpäckchen begrüßten sie schon jetzt zufriedene Mitglieder. Die dazugehörigen kleinformatigen Bilder zeigten durchweg gut aussehende, lachende, aber auch austauschbare Gesichter. Viele der Männer und Frauen waren blond und blauäugig wie sie, zumindest, was den Club anging. Mia überkam das schlechte Gewissen, sie hatte beim Ausfüllen des Formulars im Internet geschwindelt, so getan, als suche sie dringend einen Partner, als sei sie das Alleinleben satt. Dabei war sie immer noch verheiratet, auch wenn Bodo sich weniger daran hielt. Das heißt, sie meinte immer nur, er hielte sich nicht daran, so richtig wissen … Mia kam ins Wanken. Die neue Arbeitskollegin, seine Freude über sie, das waren typische Anzeichen von Verliebtheit. Auf der anderen Seite, sie führten ja eine offene Ehe, was auch immer jeder Einzelne von ihnen darunter verstand.
Manchmal war es eben nicht einfach, modern und aufgeschlossen zu sein. Mia zerriss den Brief. Sie wollte nicht hingehen.
Wann immer ihr danach war, würde sie eine Anzeige in der Zeitung aufgeben und sich aus den Hunderten von Einsendungen erst einmal die Originalfotos anschauen, auch wenn sie noch so grausam waren.
*
Gitti hatte sich von ihrer Magen-Darm-Grippe erholt und war wieder froher Dinge. Es war erstaunlich, wie schnell eine Wohnung verkam, wenn man mal zwei, drei Tage nicht Staub wischte, putzte oder aufräumte. Auf Romeo war da kein Verlass, er hatte andere Dinge im Kopf, war nie zu Hause und setzte sich höchstens, allerhöchstens mal kurz zum Essen an den Tisch, räumte noch nicht einmal die Teller weg, ganz der Vater.
Gitti verlagerte heute ihr tägliches Fitnessprogramm, das Trimmradfahren, auf das Putzen und nahm sich vor, einmal gründlich auszumisten. Mit Heiners Arbeitszimmer wollte sie beginnen. Das war ihr schon lange ein Dorn im Auge, dass sie dort nie aufräumen durfte und sich alles Mögliche stapelte. Es sah beinahe schon so aus wie bei Hilla.
Gitti betrat den Raum gleich neben der Eingangstüre. Heiner hatte ihn sich damals ausgesucht, als sie gebaut hatten. Vermutlich, damit er sich unbemerkt ins Haus oder aus dem Haus schleichen konnte, während sie sich im Schlafzimmer der obersten Etage im Traum wälzte. Sie hatte ihm damals das Zimmer sofort genehmigt, allein aus dem schlechten Gewissen heraus, ihn in der heißen Bauphase im Stich lassen zu müssen. Gitti war von der Leiter gestürzt, lag mit einem komplizierten Beinbruch für sechs Wochen im Krankenhaus und sollte anschließend in die Reha. Auf der Reha hatte Heiner bestanden, gesagt, er würde es auch ohne sie schaffen. Manchmal hatte Heiner auch seine guten Seiten. Deshalb bekam er auch das Zimmer im Eingangsbereich.
Gitti graute es nun ein wenig davor, in den Erinnerungen ihres gemeinsamen Lebens zu wühlen, alles aufzuwühlen. Nicht alles war schlecht gewesen, aber vieles.
Zu Heiners Lebzeiten durfte sie das Zimmer nicht betreten, es sollte sein Reich bleiben, sie musste es ihm hoch und heilig versprechen, es sollte ihr Vertrauensbeweis ihm gegenüber sein. Da war ihre Ehe noch in Ordnung. Später hatte sie das Zimmer aus Protest nicht mehr betreten, nachdem sie sich darin einmal – heimlich – gründlich
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