Mordsfreunde
klappte ihr Handy zu und ging zurück zur Hütte. »Was meinen Sie, Doktor?«, wandte sie sich an den Arzt. »Sieht nach Suizid aus«, erwiderte der, »aber sicher bin ich nicht.«
»Dann rufe ich den Staatsanwalt an«, sagte Pia. »Ich möchte, dass der Junge obduziert wird. Was denken Sie, Herr Behnke?«
»Wer bin ich, dass ich Ihre Meinung anzweifeln könnte?«, entgegnete Behnke mit übertriebener Unterwürfigkeit. »Nach Ihrer jahrelangen einschlägigen Erfahrung auf dem Gebiet der Rechtsmedizin werden Sie das schon alles richtig einschätzen.«
Pia blickte ihn an. Jetzt reichte es ihr wirklich.
»Gibt es irgendeinen Grund?«, wollte sie wissen.
»Einen Grund wofür?«, erwiderte Behnke.
»Für Ihr Verhalten mir gegenüber. Habe ich Sie irgendwann beleidigt, gekränkt oder verärgert? Mit niemandem habe ich Probleme, nur mit Ihnen.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, Behnke behielt stur die Sonnenbrille auf der Nase.
»Wir sind ein Team«, antwortete Pia, »wir sollten zusammenarbeiten und nicht gegeneinander. Es ist mir wichtig, dass wir uns gut verstehen.«
»Ach ja?«, erwiderte er und ging ohne ein weiteres Wort zu seinem Auto. Pia spürte, wie der Zorn in ihr hochkochte. Sie fühlte sich wie eine Idiotin.
»Arrogantes Arschloch«, sagte sie, gerade laut genug, damit er es hörte. Fast wünschte sie sich, er würde stehen bleiben und etwas erwidern, aber das tat er nicht.
Der Johanniswald in Königstein war eine noble Wohngegend im Wandel der Zeiten. Immer mehr Hauseigentümer der ersten Generation verkauften ihre Bungalows und Villen aus den sechziger und siebziger Jahren an gutverdienende junge Anwälte oder Investmentbanker aus der Frankfurter City. Die neuen Bewohner rissen sie entweder ab, um neu zu bauen, oder gestalteten die Häuser völlig um. Auf dem Weg zum Rotkehlchenweg passierten Pia und Bodenstein drei Baustellen, der Asphalt der Straße bestand nur noch aus Schlaglöchern und Flickwerk. Aber es war nicht zu übersehen, dass hinter den hohen Mauern und Hecken Menschen wohnten, die sich keine Gedanken darum machen mussten, was der Liter Superplus kostete. Kaum eines der am Straßenrand parkenden Autos hatte weniger als zweihundert PS unter der Motorhaube. Die Villa von Carsten Bock stellte selbst die protzigsten Häuser in einer Wohngegend wie demJohanniswald in den Schatten. Pia lenkte ihren alten Nissan durch ein schmiedeeisernes Tor, das weit offen stand. Rechts und links von der Auffahrt, die durch einen parkartig angelegten Garten führte, standen jede Menge Autos.
»Nette Bude«, bemerkte Pia, als sie das Haus erblickte. Der Begriff »Haus« war eindeutig untertrieben. Vor ihnen stand ein aus hellem Sandstein erbautes normannisches Schloss mit Spitzdächern, Türmchen und hohen Sprossenfenstern. Sechs Stufen führten zu einer drei Meter hohen dunkelgrünen Haustür, deren Vordach von massiven Säulen getragen wurde. Pia erinnerte sich an die Informationen, die Ostermann über die Geschäfte des Herrn Dr. Bock herausgefunden hatte. Die Bock Holding war ein weitverzweigtes Firmenkonglomerat, das weltweit agierte. Gegründet worden war dieses Imperium von Carsten Bocks Vater, der durch Patente in der Baubranche eine Unmenge Geld gescheffelt hatte. Der Aufsichtsratsvorsitzende, ein Mann namens Heinrich van den Berg, war allerdings überraschend Anfang Juni von seinem Posten zurückgetreten.
Vom Garten her schallten Gelächter und die Stimme eines Fußballkommentators zu ihnen herüber, in der Luft lag der Duft von gegrilltem Fleisch.
»Sie haben eine Party«, stellte Pia unbehaglich fest. »Ich glaube, ich will nicht da reingehen.«
»Ich kann mir auch etwas Angenehmeres vorstellen«, versicherte Bodenstein seiner Kollegin. Er betätigte den Türklopfer aus Messing. Nichts geschah.
»Die gucken das Fußballspiel«, Pia hatte es sich heute ein halbes Dutzend Mal von allen Beamten am Fundort der Leiche anhören müssen, dass um sechzehn Uhr die Übertragung des Spiels Deutschland gegen Ecuador begann. »Da drüben ist auch eine Klingel.«
Bodenstein drückte auf die Taste. Wenig später nähertensich Schritte, die große Tür wurde geöffnet. Eine Frau erschien im Türrahmen und musterte sie. »Sie wünschen bitte?«
Sie war genau der Typ Frau, den Pia in diesem Schloss erwartet hatte. Schlank, fast knochig, flachbrüstig und sehr gepflegt vom perfekten blonden Pagenkopf bis zu den kurzgeschnittenen Fingernägeln. Trotz der hochsommerlichen Temperaturen trug sie ein
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