Mordsfreunde
selbst überrascht darüber, wie begierig sie darauf war, mehr über den Mann zu erfahren, der sie bis in ihre Träume verfolgte.
»Nein«, erwiderte die junge Frau, »Papa ist im Zoo.«
Sie führte Pia durchs Haus in den Wintergarten. Im ganzen Haus herrschte ein gemütliches Durcheinander. Überall auf dem Parkettfußboden, der schon bessere Tage gesehen hatte, lag Kinderspielzeug herum, auf der abgeschabten Ledercouch im Wohnzimmer dösten zwei Katzen, eine dritte, schneeweiße, saß vor einem großen Aquarium, das auf einer antiken Anrichte im Esszimmer stand, und belauerte die Fische. In der großen Küche war der Mittagstisch noch nicht abgeräumt, ein Radio dudelte halblaut.
»Ich hole die beiden«, sagte die junge Frau.
»Danke«, Pia nickte der jungen Frau zu und blickte sich um. Der Wintergarten war groß, voller exotischer Pflanzen und mit behaglichen dunklen Ledersesseln eingerichtet. Auf einem niedrigen Tisch lagen ein paar aufgeschlagene Bücher und Zeitschriften, ein Schreibblock mit handschriftlichen Notizen, dazwischen standen ein leeres Weinglas und eine halbleere Flasche Rotwein. Pia beugte sich vor und las die Titel einiger Bücher. Es handelte sich um zoologische Fachliteratur; offenbar war der Wintergarten der Lieblingsplatz von Dr. Sander. Plötzlich fühlte sie sich wie ein Eindringling und war froh, als Antonia in Begleitung von Svenja Sievers aus dem Garten hereinkam. Svenja sah heute nur wenig besser aus als gestern. Ihr spitzes, bleiches Gesicht war ausdruckslos wie das einer Porzellanpuppe, und in ihren übergroßen, vielzu stark geschminkten Rehaugen lag ein glasiger Ausdruck. Pia setzte sich in einen der Sessel, die Mädchen nahmen ihr gegenüber auf der Couch Platz. Sie holte das Foto mit dem Ultraschallbild aus ihrer Tasche und reichte es den beiden. Svenja warf nur einen kurzen Blick darauf, Antonia zog die Stirn in Falten.
»Bist du schwanger, Svenja?«, fragte Pia.
»Wieso?« Das Mädchen tat überrascht.
»Weil dieses Foto hier auf Jonas' Handy war«, erwiderte Pia.
»Wie kommen Sie an Jo's Handy?«, fragte Svenja misstrauisch.
»Es tut mir sehr leid, euch das sagen zu müssen«, sagte Pia so behutsam wie möglich, »aber Jonas ist tot.«
Antonia zog scharf die Luft ein und wurde blass, Svenja starrte Pia wie hypnotisiert an.
»O Gott«, flüsterte sie, die Augen vor Entsetzen geweitet, »daran bin nur ich schuld ... hätte ich nicht ...«
Sie brach ab, und Antonia legte tröstend die Arme um die Freundin, obwohl sie selbst mit aller Kraft um Fassung rang. Eigentlich hatte Pia den beiden Mädchen die schrecklichen Details von Jonas' Tod ersparen wollen, aber sie konnte Svenja nicht in dem Glauben lassen, sie hätte ihren Freund in den Selbstmord getrieben.
»Nein, Svenja«, sagte sie deshalb, »du hast nichts damit zu tun. Jonas hat sich nicht umgebracht. Er wurde ermordet.«
Aus der Küche drang die heitere Stimme eines Radiomoderators, es ging um Fußball. Um etwas anderes ging es zurzeit nur sehr selten.
»Ich muss nach Hause«, Svenja stand unvermittelt auf. Sie atmete keuchend und sah aus wie ein Gespenst. Antonia ergriff ihr Handgelenk, aber Svenja stieß die Freundin heftig von sich und rannte ins Haus. Mit einem dumpfen Knall fieldie Haustür hinter ihr ins Schloss. Antonia warf Pia einen hilflosen Blick zu.
»Lass sie gehen«, sagte Pia. »Das ist ein schlimmer Schock für sie, den sie erst mal verarbeiten muss.«
Antonia ging zurück zur Couch und setzte sich. Einen Moment lang verbarg sie ihr Gesicht in den Händen und schüttelte den Kopf. Auch ihr machte die entsetzliche Nachricht schwer zu schaffen.
»Svenja ist so anders geworden«, sagte sie bedrückt. »Früher hatten wir nie Geheimnisse voreinander, aber jetzt ...«
»Sie ist schwanger, stimmt's?« Pia betrachtete das Mädchen. Antonia zögerte einen Moment.
»Ja«, gab sie dann zu, »sie hat es letzte Woche erfahren, als sie beim Frauenarzt ein neues Rezept für die Pille holen wollte.«
»War das zufällig am Dienstag?«, fragte Pia.
»Ja«, Antonia war erstaunt. »Wie kommen Sie darauf?«
Die weiße Katze, die vorhin die Fische im Aquarium belauert hatte, kam in den Wintergarten, strich um Antonias Beine und sprang auf ihren Schoß. Das Mädchen vergrub die Finger in dem weichen Fell und streichelte das Tier automatisch.
»Es muss einen Grund gegeben haben, weshalb sie abends zu Pauly gefahren ist«, entgegnete Pia. »Das wäre eine Erklärung. Sie wollte einen Ratschlag von ihm oder
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