Mordsfreunde
und auf der Intensivstation lag. Pauly hat Esther getröstet, als Schmitt gestorben ist. Ein bisschen zu intensiv vielleicht. Mareike hat die beiden am Tag nach Schmitts Beerdigung zusammen im Bett überrascht. Da war die Freundschaft beendet.«
Pia begann zu verstehen.
»Das Haus, in dem das Grünzeug ist, hat Esthers verstorbenem Mann gehört?«
»Genau«, Graf nickte bestätigend. »Esther hat nicht nur das Haus in der Bahnstraße geerbt, sondern auch noch Immobilien in Frankfurt.«
Er lächelte plötzlich.
»Da konnte Mareike mit ihrem kleinen Häuschen nicht mithalten. Pauly hatte ihr angeboten, bei ihnen wohnen zu bleiben. Aber aus dem Schlafzimmer hätte sie ausziehen müssen.«
»Es war also gar nicht Mareike, die sich von Pauly getrennt hatte«, stellte Pia fest.
»O nein«, erwiderte Manfred Graf, »das war genau andersherum.«
Das Haus der van den Bergs lag ganz am Ende der Freiligrathstraße in Bad Soden und war von der Straße aus nicht einzusehen. Auf Pias Klingeln meldete sich eine weibliche Stimme. Wenig später summte der Türöffner, und Pia betrat das weitläufige Grundstück. Sie folgte dem gepflasterten Fußweg neben der Auffahrt bis hoch zum Haus, einem Bungalow mit vergitterten Fenstern, der sich unter ein mächtiges Schieferdach mit halbrunden Dachgauben duckte. Vor der Doppelgarage parkte ein Smart. Die Haushälterin erwartete Pia bereits in der geöffneten Haustür.
»Lukas ist krank«, sagte sie mit einem osteuropäischen Akzent.
»Ich werde ihn nicht lange stören«, versicherte Pia, »aber ich muss ihn dringend sprechen.«
Im Innern war das Haus größer, als man von außen annehmen konnte. In der Empfangshalle mit dem spiegelnden Marmorboden im Schachbrettmuster hätte ein Ball stattfinden können, die Bilder an den Wänden waren sicherlich echt und ein Vermögen wert. Pia kannte die Häuser richtig reicher Leute in Frankfurt: Dieses Haus stand ihnen in nichts nach. Sie folgte der Haushälterin eine Treppe hinauf unter das Dach. Ob Lukas an ihr auch seine Verführungskünste ausprobiert hatte? Die Frau blieb vor einer Tür stehen und klopfte an.
»Sie haben Besuch, Lukas!«, rief sie und öffnete die Tür. Dann trat sie zur Seite und ließ Pia eintreten. Das Zimmer war erstaunlich spartanisch eingerichtet. Ein Einbauschrank, ein Bett unter der Dachschräge, ein Schreibtisch unter der Gaube. Auf einem Tisch stand ein aufgeklappter Laptop,Kleider lagen auf dem Boden herum, an der Wand hing dasselbe große Panoramafoto wie im Zimmer von Jonas Bock, allerdings in einer etwas kleineren Dimension. Über dem Schreibtisch waren Fotos an die Wand gepinnt. Pia blickte zum Bett hinüber. Als der Junge sich umdrehte und sie anblickte, zuckte sie unwillkürlich zusammen. Genauso hatte er letzte Nacht in ihrem Traum ausgesehen, so traurig mit geschwollenen Augen und wirren Haaren.
»Hallo«, murmelte er, »tut mir leid, dass ich hier so liege, aber mir geht's total dreckig.«
»Das sehe ich. Vielleicht sollte ich dich besser ins Krankenhaus fahren«, Pia war ernsthaft besorgt. Der Junge war in keinem guten Zustand, dazu staute sich unter dem Dach die Hitze. Es war erstickend heiß.
»Nein, ich will nicht ins Krankenhaus«, Lukas' Blick fiel auf die Haushälterin, die immer noch in der Tür stand.
»Sie können gehen, Irina«, sagte er, »und rufen Sie nicht gleich meinen Vater an. Es ist alles okay.«
Die Frau drehte sich kommentarlos um und schloss die Tür hinter sich.
»Mein Vater hat diese russische Spionin als Aufpasserin für mich eingestellt«, er ließ sich wieder in die Kissen sinken. »Hin und wieder macht er's mit ihr und glaubt, ich würde es nicht merken. Aber es ist wohl sein einziger Spaß. Ich gönne es ihm.«
»Wo ist deine Mutter?« Pia ging zum Fenster und öffnete es weit, dann ergriff sie den Schreibtischstuhl und rückte ihn neben das Bett.
»In Boston«, Lukas verzog das Gesicht, »am MIT. Sie hat dort eine Gastprofessur für Elektrotechnik und Informatik.«
»Ach«, Pia war erstaunt.
»Die erste Ehe meines Vaters war kinderlos«, sagte Lukas mit einem sarkastischen Unterton. »Er hat beschlossen, seinwertvolles Erbgut nur mit einer Intelligenzbestie zu kreuzen, wie er selbst eine ist. Meine Mutter – seine zweite Frau – erschien ihm geeignet.« Er lachte unfroh.
»Den ersten Intelligenztest haben sie mit mir gemacht, als ich dreizehn Monate war – wahrscheinlich um sicherzugehen, dass ich mich nicht als Fehlinvestition erweisen würde. Bei einem
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