Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Stöhnen von sich gegeben, ehe er auf dem Sitz in sich zusammensank.
»Praktisch, diese Cabrios«, sagte Doris. Sie stand über den Wagen gebeugt und ordnete den Jutesack, so daß es aussah, als läge da hinten ein Haufen alter Lumpen. Sie lächelte Paula aufmunternd zu.
»Die Blutflecken … unten«, hauchte Paula. »Sie werden nicht ganz rausgehen.«
»Macht nichts. Wem sollten sie auffallen, bei dem Verhau? Solange niemand ahnt, daß Vito da unten … Mach nicht so ein verzweifeltes Gesicht! Das Gröbste ist geschafft. Morgen früh werde ich noch mal herkommen und eventuelle Spuren beseitigen. Hast du alle Lichter ausgemacht?« Paula nickte. »Dann sperr das Tor von innen ab, häng den Schlüssel wieder hin, und geh durch die Vordertür raus. Abschließen nicht vergessen.« Paula gehorchte, es tat ihr gut, strikte Anweisungen zu befolgen. Ihrem eigenen Denken vertraute sie momentan noch nicht.
»Jetzt fahr nach Hause«, sagte Doris. »Ich kümmere mich um den Rest«, sie sah Paula in die Augen und faßte sie an beiden Armen. »Es wird nie jemand davon erfahren, glaub mir. Ich regle das.«
»Danke«, war alles, was Paula herausbrachte. Doris stieg in Vitos Cabrio und wartete, bis Paula losgefahren war. Wo sie ihn wohl hinbrachte? Wahrscheinlich wußte sie es selber noch nicht. Vielleicht würde sie ihn von irgendeiner Brücke werfen. Sie fuhr wie in Trance nach Hause, der Lichtschein aus dem Wohnzimmer drang heimelig durch die hellen Gardinen.
Katharina saß auf dem Sofa und strickte. Es sei alles in Ordnung, meinte sie. »Und bei Ihnen?«
»Was? Wie?«
»Ich meine, wie war die Probe?«
»Oh, es war noch keine Probe. Es war nur eine Besprechung, wegen des neuen Stücks.«
»Ach so. Was wird denn als nächstes gespielt?«
»Das wissen wir noch nicht. Stell dir vor«, rief Paula mit einer künstlichen Munterkeit, die ihr selbst fremd war, »da diskutieren und beratschlagen wir stundenlang und wissen immer noch nichts. Komisch, was?«
»Wie bei uns in der Schule«, sagte Katharina, sammelte ihr Strickzeug auf und ging zur Tür. Hatte sie etwas bemerkt? Dieser seltsame Blick vorhin, oder bildete sie sich das nur ein? Wie benahm man sich unbefangen? Worüber sprach sie sonst mit diesem Mädchen?
»Wie geht’s in der Schule?«
»So lala. Wenn ich die nächste Arbeit in Französisch nicht verpatze, dann darf ich vielleicht für drei Monate auf Schüleraustausch nach Südfrankreich.«
»Oh, tatsächlich?« Beinahe hätte Paula gefragt: ›Könnt ihr euch das leisten?‹ »Das ist schön. Dann streng dich mal an. Wenn ich dir irgendwie helfen kann … ich habe, glaube ich, noch nicht alles verlernt. Ich bin ja quasi in Frankreich aufgewachsen.« Dieses Geplapper, dieser krankhafte Redezwang!
»Ja, danke.« Katharina schlüpfte in ihre Sportjacke mit dem Aufdruck irgendeines amerikanischen Footballclubs. Football, Brick, Vito – nie wieder werde ich dieses Theater betreten können.
Paula drückte ihr dreißig Mark in die Hand, zehn mehr als sonst. »Weil’s heute …«, sie wollte sagen ›etwas länger war‹, aber ein Blick zur Uhr zeigte ihr, daß es eigentlich gar nicht so spät war. Zwanzig nach elf. Es war nur sie selbst, für die eine Ewigkeit vergangen war, seit sie dieses Haus verlassen hatte. »… weil du immer so zuverlässig bist. Also dann, gute Nacht. Du bist doch mit dem Rad, oder?«
»Jaja, keine Sorge. Gute Nacht.«
Von einer guten Nacht konnte keine Rede sein. Paula verbrachte sie schlaflos, gepeinigt von tausend Ängsten und Fragen. Irgendwann sah sie vor Doris’ Haus ein Taxi vorfahren.
Die folgenden Tage und das Wochenende erlebte Paula in nervlicher Hochspannung. Nachts quälten sie Träume, aus denen sie nach Luft ringend hochschreckte, mit dem Gefühl zu ersticken. In blutverschmutzten Kleidern wurde sie von der Polizei verfolgt und festgenommen, kein Versteck war sicher, man fand sie überall. Sie wurde des Kaufhausdiebstahls bezichtigt – die Kassiererin hatte Ähnlichkeit mit Barbara –, worauf sie guten Gewissens ihre Tasche öffnete und das absonderlichste Diebesgut zum Vorschein kam: eine blonde Perücke, ein Rosenkranz, ein blauer Seidenschal, ein Gedichtband, Make-up und Lippenstifte, ein Handy, ein gelber Vogel ohne Kopf. Vito starb noch einige Male auf unterschiedlichste Weise, der Tote wechselte die Gestalt wie ein Chamäleon, wurde zu Max, zu ihrem Vater, ihrem Bruder Bernd, einem ihrer Lehrer, ja sogar zu Tante Lilli und Simon, er löste sich bei Berührung
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