Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Mauser. Eine Erinnerung brachte sie zum Lächeln. Das letzte Mal, daß Siggi so vor ihr gekniet hatte, war schon eine Zeitlang her: damals waren sie allein gewesen, ziemlich beschwipst und hatten nichts angehabt, außer Kerzenlicht.
Der neue Mann hatte noch gar nichts gesagt. Jetzt nickte er Paula schüchtern zu. Er hatte braune Augen, ein Gesicht mit vielen Ecken und Kanten und schöne Hände. Sehr schöne Hände. Auch das noch, dachte Paula. So einer fehlt mir gerade noch, und das dreimal die Woche.
»Verschwinde, du Blödmann«, Paula zog Siggi weg, da er sich eben anschickte, ihre Füße zu küssen. Barbara gratulierte ihr zu ihrer ersten Hauptrolle. Es klang aufrichtig, wenn auch mit einem Hauch Wehmut versetzt. Heute abend hatte ihr Hermann seinen großen Auftritt, fiel Paula ein. Schulze, zuständig für die verwandten Ressorts »KriPo« – Kriminalität und Politik –, saß wohl im Moment in der Parteiversammlung und wurde Zeuge der Kür zum Bürgermeisterkandidaten.
Barbara akzeptierte, ohne mit einer ihrer zu dick getuschten Wimpern zu zucken, die Rolle der »Big Mama«. Nomen est omen, dachte Paula spöttisch. Der Rest ging flott. Frank Mückel wurde Doris’ Ehemann – was für ein Paar! Erich durfte den Reverend spielen, eine grandiose Besetzung, fand Paula, den Doktor würde notfalls Siggi übernehmen, es sei denn, die Rolle ließe sich ohne große Verluste streichen.
Nur die Hühnchen machten betretene Gesichter. Von ihnen war bis jetzt noch nicht einmal die Rede gewesen. Jessica linste ab und zu verstohlen zur Tür und dann wieder zur Uhr, wobei sie sich jedes Mal mit einer grazilen Geste die Locken aus der Stirn strich, um sie gleich wieder mit lässigem Schwung über die eine oder andere Gesichtshälfte fallen zu lassen. Paula wandte sich genervt ab.
Niemand sprach mehr von Vito, auch der Streit vom letzten Mal wurde mit keiner Silbe erwähnt, und Paula verließ die Zusammenkunft mit gemischten Gefühlen. Zunächst war sie erleichtert, den Abend überstanden zu haben. Sie freute sich auch ein wenig über die Rolle, aber es überwog die Gewißheit, von Doris überfahren, ja erpreßt worden zu sein. Ich werde so oft wie möglich Katharina zum Babysitten holen, dachte Paula trotzig. Und in gut drei Monaten ist sowieso alles vorbei. Auch der Prozeß.
Jäckle thronte hinter seinem Schreibtisch in seinem muffigen Büro. Mit Ausnahme von Dienststellenleiter Dr. A. C. Freudenberg war er der einzige, der ein eigenes abgeschlossenes Büro besaß, auch wenn diese Rumpelkammer den Namen Büro kaum verdiente. Er hatte es bekommen, weil sich seine Kollegen, allen voran Frau Gebhard, über sein beständiges Zigarrenrauchen beschwert hatten. Nachdem er sein Büro bezogen hatte, wurde Jäckle seltsamerweise mit einem Schlag abstinent. Er hatte die Dinger noch nie gemocht.
Es ging auf den März zu, laue Frühlingsluft wehte durch das halboffene Fenster herein und zog ihm ins Genick. Also schloß er das Fenster wieder.
»Darf ich rauchen?« fragte sein Gegenüber.
»Klar«, Jäckle schob ihm einen gläsernen Aschenbecher von bemerkenswerter Häßlichkeit hin, auf dessen Boden eine goldene »20« prangte. »Nun, wie sieht’s aus?«
»Wie’s aussieht?« Der jüngere Mann stieß ärgerlich den Rauch aus der wohlgeformten Nase: »Ich habe überhaupt keine freie Zeit mehr, meine Freundin ist letzte Woche mit ’nem Typen aus ihrer Studentenzeit in Urlaub geflogen, und ich muß dreimal die Woche über vierzig Kilometer hierher fahren. So sieht’s aus.«
»Ich werde dir das Benzingeld erstatten«, antwortete Jäckle. Sein ehemaliger Kollege war inzwischen Inhaber eines äußerst gutgehenden Sportgeschäfts, Jäckles Jahresgehalt würde wohl gerade so für die Leasingraten seiner drei Autos ausreichen. »Was ist mit der Körner?«
»Blöderweise hat sie bloß eine kleine Rolle angenommen, sie ist also gar nicht oft bei den Proben dabei.«
»Schade. Na ja, kann man nicht ändern. Hast du versucht …«
»Wie ein Weltmeister. Sie hat mich abblitzen lassen, aber dermaßen eiskalt, so was ist mir selten vorgekommen. Mein Ego hat sich noch immer nicht ganz davon erholt.«
»Du wirst dieses traumatische Erlebnis seelisch geläutert überwinden.«
»Bestimmt, Herr Pfarrer. So anstrengend habe ich mir das alles jedenfalls nicht vorgestellt. Das war der letzte kleine Gefallen, für den ich meine kostbare Freizeit opfere. Ich und Theater spielen! Dieser Siggi Fuchs ist ein Menschenschinder, ein Despot! Dabei
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