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Mordsmöwen

Mordsmöwen

Titel: Mordsmöwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sine Beerwald
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betrachte ich die dümpelnden Boote und behalte den Krabbenpuler mit dem rechten Auge im Blick.
    »Na, du hungrige Möwe, willste Krabben abhaben? Frisch vom Kutter.« Er hält mir eine ganze Handvoll dieser saftig glänzenden Tierchen hin.
    Ich zögere. Lass dich niemals von einem Menschen anlocken , das ist die erste Lektion jeder Jungmöwe. Eine der wenigen Regeln, die ich in meinem Leben bisher stets beherzigt habe. Aber ich hatte auch in meinem ganzen Leben noch nie so tierischen Hunger. Er lächelt mir aufmunternd zu. Nein, nein, nein, predige ich mir selbst, weiche vor der Hand zurück und mache den Abflug.
    Schweren Herzens erhebe ich mich in die Luft und kreise über den Imbissbuden. Noch während ich mit dem Teufelchen auf meiner Schulter diskutiere, werde ich wegen eines durchdringenden Signals auf ein Ausflugsschiff aufmerksam, das in den Hafen einläuft. An Deck des offenen Kutters mit dem markanten knallroten Rumpf drängen sich die Passagiere mit diesen merkwürdigen Apparaten, die sie sich immer wieder vor die Augen halten, um dann darauf zu drücken. Und jetzt sehe ich auch, worauf sie ihren Fokus richten. Jonathan ist auf der Reling gelandet. Er stolziert vor den Fahrgästen auf und ab und hält in immer neuen Posen inne. Eine wahre Menschentraube bildet sich um ihn. Der traut sich was. Nur was hat das mit der Suche nach unserem vermissten Knut zu tun?
    Genau diese Frage stelle ich Jonathan, als ich flügelschlagend neben ihm herflattere.
    »Geh mal mit deinem verbeulten Schnabel aus dem Kamerafeld«, schimpft Jonathan anstelle einer Begrüßung oder gar einer Antwort. Ich taste mit meinem Flügel nach meinem Schnabel. Tatsächlich, den habe ich mir volle Lotte beim Sturzflug ins Paradies verbeult. Hoffentlich gibt sich das ohne Algenverband.
    »Den habe ich mir vorhin bei einer erfolgreichen Bodenoffensive im Nahkampf geprellt«, schreie ich Jonathan zu. Hört sich doch gut an, finden Sie nicht?
    »Sieht eher so aus, als wärest du im Blindflug gegen eine Scheibe gedonnert. Und jetzt geh mir bitte aus der Sonne. Wie sieht das denn aus, wenn dein Schatten auf meine Federn fällt? Gleich ist die Fahrt vorbei, und die Touristen wollen noch ein paar hübsche Fotos von mir mit dem Hafen im Hintergrund machen.« Jonathan stellt sich ins Halbprofil, das Gesicht leicht schräg zu den Kameras gewandt. Das Gelb seines Schnabels hat er an einer Muschel frisch poliert, sein Gefieder auf Hochglanz geputzt, und für mich sieht es sogar so aus, als hätte er sich die Federn legen lassen, weil man das allein niemals so gut hinbekommt. Aber als Mann lässt man sich doch nicht die Federn legen! Das machen nur die Weibchen zur Balzzeit.
    Seine äußersten sechs Handschwingen sind allerdings perfekt übereinanderdrapiert, von außen nach innen abnehmend schwarz, und zeigen regelmäßige weiße Tupfen auf den Spitzen, Tupfen, die sich in seiner Familie besonders schön ausgeprägt haben. Für eine männliche Möwe sieht Jonathan echt gut aus, das muss ich schon zugeben. Es kommt vor, dass fremde Reviermöwen ihn wegen seines guten Aussehens für ein Weibchen halten – die Geschlechter sind ja auch schwer zu unterscheiden, da kann es schon mal zu peinlichen Verwechslungen kommen –, aber Jonathan hat tatsächlich eine ziemlich rundliche, anmutige Kopflinie und einen kürzeren, nur leicht gebogenen Schnabel, wie er eben nur bei Weibchen üblich ist.
    »Jonathan, komm bitte mit. Ich brauche dich. Wir haben einen Auftrag von unserem Scheff. Wir müssen den Pizzabäcker observieren. Der macht irgendwelche krummen Geschäfte.«
    »Mit krummen Geschäften habe ich nichts mehr zu tun.« Jonathan breitet seine Flügel weit aus, und ein begeistertes »Ah« schwappt aus der Menge zu uns herüber. »Hier verdiene ich mein Essen mit ehrlicher Arbeit. Die Besatzung legt mir nach jeder Fahrt frische Muscheln, Krabben oder Heringe hin. Vielleicht bringe ich es eines Tages bis zur Fotomodellmöwe auf einem Luxusliner.«
    »Jonathan, hast du einen Sonnenstich? Hilf mir jetzt bitte, den Pizzabäcker zu suchen. Ich habe ihn aus den Augen verloren.«
    »Der kann ja hier im Hafen nicht weit sein, die nächste Autofähre nach Dänemark geht erst in einer Stunde. Ich muss jetzt aber los, in fünf Minuten legt die ›Gret Palucca‹ ab. Es geht raus zu den Seehundsbänken mit Seetierfang. Für mich ist dieses Shooting wichtig, um mich auf meine Bewerbung vorzubereiten.«
    »Bewerbung?«
    »In zwei Tagen geht die › MS  Europa‹ in List

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