Mordsonate
Umzug, der ihn in die Mohrstraße Nr. 8 und damit symbolträchtig in die Nähe des Kommunalfriedhofs geführt hatte. Dabei fühlte er sich beschwingter denn je. Nie im Leben hätte er sich träumen lassen, welche Wirkung eine Beförderung auf einen Menschen auszuüben vermag, der Jahrzehnte hindurch jedem Aufstieg mit Argwohn begegnet war, weil ihm eine Karriere im österreichischen Staatsdienst stets gleichbedeutend erschienen war mit der Einreihung in das Heer kuschender Parteisoldaten. Ironischerweise verdankte sich Erichs jetziger Karrieresprung gerade einem Widerstandsakt gegen diesesParteisoldatentum – und dieser Widerstandsakt bestand kurioserweise auch noch im Eintritt in eine Partei! Wobei sein Aufstieg die Spätfolge eines Entschlusses war, der von allen Menschen seines Umfelds als berufliches Harakiri gesehen worden war. In den Augen nicht weniger Beobachter schien er endgültig seinen Verstand verloren zu haben.
Obschon ihn allein die Vorstellung lähmte, alle diese Kartons wieder auspacken zu müssen, war es doch so, dass er nach der anfänglichen Erleichterung, die er verspürt hatte, als so viele seiner Sachen auf dem Müll gelandet oder von den Organisatoren eines Flohmarktes abgeholt worden waren, diesen Schritt insgeheim längst wieder bereute. Wie denn auch nicht: Er steckte immer noch in seiner Haut. Und da er sich darin keineswegs unwohl fühlte, würde es wohl nicht allzu lange dauern, bis er erneut anfing, allerhand Dinge anzusammeln.
Bei offener Tür verfolgte er während des Rasierens mit halbem Ohr das Radioprogramm. Als Babsis Beitrag auf Sendung ging, saß er schon mit einer Tasse Espresso und den SALZBURGER NACHRICHTEN am Küchentisch.
»Das ist doch nur wieder so eine … eine Kunstaktion … wie die Einkaufswagerl … erinnern Sie sich noch an die Schweinerei mit den Einkaufswagerln rund ums Mozartdenkmal? So was ist das wieder! Darauf können S’ Gift nehmen! – Meiner Seel’, wenn s’ wenigstens den schiachen Mozart, den sauschiachen Knödel vom Ursulinenplatz ang’schmiert hätten, da hätt’ i applaudiert, und wie … aber unsern schönen Mozart … eine Frechheit!
Die Wogen gehen noch immer hoch in der Stadt Salzburg, seit vor einigen Tagen die Bescherung entdeckt wurde: Über Nacht hat unser Mozart auf seinem Sockel zu weinen angefangen. Weiße Lacktränen. Exakt drei Stückauf jeder Wange. Und von den Tätern fehlt weiterhin jede Spur. Waren es Jugendliche, ein Jux? Oder handelt es sich dabei tatsächlich um die Aktion eines Künstlers?
Der Leiter der Kriminalabteilung der Stadt Salzburg, Oberstleutnant Hagleitner:
Nach heutigem Wissensstand gehen wir von einem oder mehreren Jugendlichen aus. Wir haben ja nur die Spuren von Schuhabdrücken einer Person, die wir im Blumenbeet rund um das Denkmal sichergestellt haben. Sie stammen von Baseballschuhen der Größe 40, wie sie von vielen jungen Menschen getragen werden. Wir gehen deshalb von einem Vandalenakt aus. Falls es sich allerdings wirklich um eine Kunstaktion handeln sollte, fordern wir den Künstler mit allem Nachdruck auf, sich umgehend bei uns zu melden oder sich zumindest öffentlich zu deklarieren! Wie wir auch noch einmal auf unseren Aufruf an die Bevölkerung hinweisen möchten, uns alle Beobachtungen in diesem Zusammenhang zu melden. Jede Kleinigkeit kann uns bei der Aufklärung helfen!
Auch wenn es noch so wenige Spuren gibt: WIR bleiben auf alle Fälle für Sie auf der Fährte, verspricht Ihnen Ihre – Barbara Braun von RADIOakkktiv.«
Der weinende Mozart – mein Gott, Babsi! Erich seufzte zufrieden und trank seinen Kaffee aus.
Seit er hierher übersiedelt war, gab es allem Anschein nach für sämtliche Medien in der Stadt kein wichtigeres Thema. So lächerlich ihm das ganze Getue vorkam, aus Sicht seiner Profession durfte er sehr zufrieden sein, wenn es bloß solche Lappalien waren, von denen die Menschen in Atem gehalten wurden in einem Land, das bekanntlich in punkto Kriminalität mit ganz anderen Überraschungen aufzuwarten imstande war.
Dass er den Kollegen Hagleitner jetzt gehört hatte, verstand Erich jedenfalls als Aufforderung, seinen schon seitTagen angekündigten Besuch im Kriminalreferat nicht weiter hinauszuschieben. Er rief kurz im Büro an, um mitzuteilen, weshalb er später kommen werde, schaltete die Espressomaschine aus und stellte die kleine Tasse in den Geschirrspüler.
Er folgte auch hier in Salzburg seiner Gewohnheit, an Arbeitstagen sein eigentliches Frühstück erst im Büro
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