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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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heraus!« Gemeinsam kippten die Buben den Ballen um, der wie alle anderen auch zur Lagerung auf der Stirnseite stand. Sofort sahen sie, dass die Folie an der Unterseite mit braunem Paketklebeband geflickt war.
    Als Jim daran zog, schlug ihnen sofort eine Welle von Gestank ins Gesicht. Nachdem er beherzt die Unterseite des Ballens geöffnet und die dünne Schicht Heu, die darüber lag, entfernt hatte, wurde der Geruch noch unerträglicher. Die Buben hielten sich ihre Nasen zu und sahen, dass der Heuballen ausgehöhlt worden war. In dem Loch steckte ein schwarzer Müllsack.
    Jim wandte sich ab und Joe rannte ein Stück weg, da er sich übergeben musste; er erbrach sein Frühstück. Beide hatten sie gleichzeitig etwas Unglaubliches gesehen: Der Verschluss des Müllsacks hatte sich gelöst und gab den Blick auf eine prall aufgeblasene Ferse frei. Und als Jim, sich sein Halstuch wie für einen Überfall vors Gesicht bindend, noch einmal auf den Heuballen zuging, war dieser von einer Unzahl von Fliegen umschwirrt, und weißes Getier kroch aus dem schwarzen Sack. Der Gestank war nicht auszuhalten.
    Während sein Freund noch keuchte, rief ihm Jim entsetzt zu: »Maden, Joe!« Die kannte Jim von ihrem Hausmüll, als er einmal im Sommer Fischabfälle hinunterzutragen vergessen hatte.
    Aus einiger Entfernung starrte er zur Öffnung des Müllsacks. »Wahnsinn, Joe, Wahnsinn!«, kreischte er mehrmals hysterisch, während sein ganzer Leib vor Aufregung bebte.
    »Wir müssen zum Bauernhof, Jim.«
    Der Angesprochene nickte.
    Wortlos verständigten sie sich darüber, Bretter, Steine und Brennholz ihrer Feuerstelle wieder zu verstecken.
    »Und was sagen wir?« fragte Jim schwer atmend.
    »Dass wir vorbeigeradelt sind. Und den Gestank bemerkt haben.«
    »Die glauben dann doch hoffentlich nicht, dass wir, Joe …«
    »Nie im Leben!«
    Hastig verstauten sie Proviant und Hüte in ihren Rucksäcken, setzten die Helme auf und schwangen sich auf ihre Räder. Dabei rutschte Jim in seiner Aufregung vom linken Pedal ab und prellte sich das Schienbein. Er schrie laut auf, warf das Rad in die Wiese, um auf einem Bein, das verletzte hochgezogen und mit beiden Händen umklammernd, herumzuhüpfen und mit schmerzverzerrtem Gesicht zu wimmern. Dann besah er sich die blau angelaufene Stelle mit der leicht blutenden Hautabschürfung und warf sich schreiend auf den Rücken.
    Joe war sofort stehen geblieben und schlug vor, einen kühlen Stein auf die schmerzende Stelle zu drücken, aber Jim bewies, dass er ein echter Westmann war, und bestieg wieder sein Rad.
    Gerlinde sah auf die Uhr und dann auf den Berg von Unterlagen für den Vorhabensbericht, den sie neben den DAT-Kassetten des Diktiergerätes auf ihrem Schreibtisch aufgehäuft hatte. »Bei meinem Sauhaufen aus Diktat-Kassetten und Unterlagen, Gerlinde, kennen doch nur Sie sich wirklich aus. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass Sie wieder da sind. Ich bin doch aufgeschmissen ohne Sie!« Gerlinde krampfte sich der Magen zusammen – immerhin wollte sie heute den entscheidenden Schritt tun. Aber sie hatte noch so viel zu erledigen, musste sie doch die vom DI im Diktat erwähnten Teile heraussuchen, eintippen und die zahlreichen Tabellen und Diagramme so in den Text einfügen, dass dies alles für die Adressaten in der Politik verständlich sein würde. Dabei hatte der DI sogar ihr gegenüber einmal angemerkt, dass er noch auf keinen einzigen Parteipolitiker gestoßen sei, der auch nur zwanzig Prozent eines solchen Berichtesüberflogen, geschweige denn aufmerksam gelesen oder gar ansatzweise begriffen habe. »Denen geht es ausschließlich um die Posten für ihre Leute – alles andere ist denen so etwas von scheißegal, das glauben Sie gar nicht! Ob die ENAG für die Zukunft gerüstet ist oder nicht, ist denen völlig wurscht.« Bis dorthin wären sie längst in Pension.
    Der DI konzentrierte sich auf die Fakten, und Gerlinde bereitete es Freude, elegante Formulierungen zu finden, auf die ihr Chef niemals gekommen wäre, Techniker, der er war. Es war also keineswegs nur Schmeichelei, wenn der Generaldirektor betonte, dass Gerlindes Vertretung mit dieser wichtigen Arbeit doch nie im Leben auch nur annähernd zu Rande gekommen wäre; und dies nicht nur wegen der chaotischen Eigenheit des DI, sich im Diktat immer wieder kurz zu unterbrechen, mit Einfällen, die an ganz anderen Stellen, von der Sekretärin ausformuliert, einzubauen waren.
    Beim Zusammenstellen der Unterschriftsmappen

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