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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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wirklich so – wenn man mit einem Kind zu wenig Probleme hat, schafft man sich welche.«
    »Sie dürfen sich keine Vorwürfe machen, Herr Aberger. Ich habe selber Kinder, ich weiß doch, wie schnell da einmal etwas aus dem Ruder laufen kann. Ich bitte Sie, möglichst Ruhe zu bewahren. Wir warten nun ab, was der Aufruf im Lokalfernsehen bringen wird, dann sehen wir weiter.«
    Herr Aberger nickte und schnippte die Asche seiner Zigarette in den Aschenbecher.
    Er drückte seine Frau fest an sich. Wegen des Straßenlärms hatten sie trotz des schönen Wetters die Balkontür und die Fenster geschlossen, deshalb war es etwas stickig im Wohnzimmer. Peter glaubte, kaum durchatmen zu können – so allein gelassen fühlte er sich in ihrem Unglück, das er jetzt noch stärker empfand als an dem Abend, an dem Birgit nicht heimgekommen war.
    Die Moderatorin der regionalen Fernsehsendung leitete den Beitrag über das Verschwinden ihrer Tochter mitso überzeugend ernstem Gesichtsausdruck ein, als würde ihr der Fall persönlich nahegehen. Den beiden stiegen die Tränen in die Augen, als sie Birgit bei ihrem größten Erfolg sahen: In dem dünnen schwarzen Kleidchen am Klavier bei der Ausscheidung in Wien. Wie zerbrechlich sie neben dem großen Bösendorfer-Flügel wirkte, als sie sich verbeugte. Dann kamen noch einige Ausschnitte aus dem Bericht, der nach Birgits Sieg bei der Endausscheidung ausgestrahlt worden war und ihre Tochter so ungekünstelt zeigte, ein Kind wie jedes andere.
    Das Blut pochte in Peters Schläfen, als jene Fotos auf dem Bildschirm zu sehen waren, die sich die Polizei von der Speicherkarte ihrer Digitalkamera kopiert hatte. Sie zeigten Birgit in Alltagskleidung, sie trug das, was sie zum Zeitpunkt ihres Verschwindens angehabt hatte. Nach dem Aufruf, sich mit sachdienlichen Hinweisen an die Polizeidienststellen zu wenden, leitete die betroffen wirkende Moderatorin zum Wetterbericht über.
    Peter hatte vor Beginn der Sendung das Handy ausgeschaltet. Wenn seine Eltern das jetzt gesehen hatten … er hatte es nicht übers Herz gebracht, sie vom Verschwinden ihrer Enkelin zu informieren. Mehrmals hatte er den Wählvorgang abgebrochen. Ein abergläubisches Gefühl hatte ihn davon abgehalten anzurufen … eine unbestimmte Angst, als würde er damit Birgits Abgängigkeit unwiderruflich bestätigen. Als wäre die Chance, dass sie bald wohlbehalten heimkäme, so lange vorhanden, solange er es vermied, über ihr Verschwinden wie von einer unabänderlichen Tatsache zu sprechen. Natürlich wusste er, dass spätestens nach Erscheinen der morgigen Zeitungen … sie waren von der Polizei darauf vorbereitet worden, dass die Salzburger Blätter das Foto ihrer Tochter wahrscheinlich sogar auf den Titelseiten haben und dass sie innächster Zeit von Journalisten bestürmt werden würden. Nein, selbst wenn seine Eltern im Pinzgau die Sendung jetzt nicht gesehen hätten, sie würden doch von den Nachbarn darauf angesprochen werden. Und müssten ihnen gestehen, dass sie keine Ahnung hätten, weil ihr Sohn sie nicht … Peter hätte gegen die Wand rennen können, so wie er sich jetzt fühlte … Wie konnte er nur, wo Birgit so sehr an den Großeltern hing … und umgekehrt. Machte er denn immer alles falsch, wenn es um sein Kind ging? Er war doch keiner, der davonzulaufen pflegte – ganz im Gegenteil. Schon als Kind hatte er seine Eltern nach jeder Schularbeit auf schlechte Noten vorbereitet, die er dann nie bekommen hatte. In diesen schrecklichen Minuten wurde ihm bewusst, wie abergläubisch er sein ganzes Leben lang gewesen war.
    Er zog seine weinende Frau an sich und konnte auch die eigenen Tränen nicht zurückhalten. Er schaffte es nicht, das Fernsehgerät auszuschalten, aber das Programm drang ohnehin nicht zu ihnen durch. Sie blieben in ihrer entsetzlichen Situation gefangen. In dieser grauenvollen Ungewissheit, dem ständigen Hin- und Hergerissensein zwischen Zuversicht und Hoffnungslosigkeit. Und beherrscht von der sinnlosen Frage: Warum Birgit?
    Die Sätze, mit denen sie sich gegenseitig Mut zu machen versuchten, seit sie nacheinander von der Arbeit heimgekommen waren, wirkten inzwischen verbraucht und kraftlos. Sie kreisten immer nur um den Wunsch, dass Birgits Zorn über ihren Streit die Ursache für ihr Fortbleiben sein möge. Andere Auswege, die auch nur ein wenig Hoffnung verhießen, vermochten sie inzwischen nicht mehr auszumachen.
    Peter durfte Anna nicht mit seinen größten Ängsten belasten. Längst quälten ihn

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