Mordsonate
ihr nicht mehr gelänge, sie wieder hinaufzuschieben?
»Da hast du aber ordentlich geklotzt, mit der Wohnung. Allein für den Festungsblick zahlst du ja schon ein Vermögen.«
»Ist nur gemietet, Babsi.«
Sie erhoben ihre Sektgläser.
»Auf deinen neuen Job, deine neue Wohnung …«
» … und mein altes Leben«, ergänzte er grinsend. »Ich hoffe, ich ersticke hier nicht wieder allzu schnell im Müll. – Auf dich, Babsi!«
Einmal mehr verspürte Erich die befreiende Wirkung, die der jugendliche Überschwang seiner Nichte auf ihn hatte, die genau genommen nicht einmal seine Nichte war, dafür aber (und nicht nur in finanzieller Hinsicht) eigentlich mehr seine Tochter. Eine vertrackte Geschichte: Babsi war die uneheliche Tochter seiner jüngeren Schwester Helga, die bei deren Geburt verstorben war. Seine jüngere Schwester wiederum war eigentlich seine Cousine Helga Braun, die Erichs Eltern nach dem tragischen Unfalltod ihrer leiblichen Eltern als Ziehkind aufgenommen hatten. Und Erich Laber fühlte sich für Barbara Braun, die nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihren Vater nie kennen gelernt hatte, in der Tat so verantwortlich, als wäre sie sein Fleisch und Blut. Dieses Gefühl begleitete ihn nun schon siebenundzwanzig Jahre durch sein Leben: Erich hatte damalsals Schlagzeuger in einer Rockband gespielt. Seine Eltern hatten seiner Ziehschwester Helga verboten, bei einem Freiluftkonzert einheimischer Nachwuchsbands im oberen Mühlviertel dabei zu sein, wo sie auftreten sollten. Trotzdem schmuggelte Erich das Mädchen, das zu der Zeit bei den Kreuzschwestern in Linz die fünfte Klasse Gymnasium besuchte, aus dem Haus. Noch während die Konzerte liefen, musste es passiert sein. Erich fand Helga nach seinem eigenen Auftritt schwer betrunken am Rand des Festivalgeländes, wo sie sich hingeschleppt hatte, um sich zu übergeben. Später stellte sich heraus, dass sie schwanger war – und keine Ahnung hatte, wie der Vater des Kindes ausfindig zu machen wäre. Nach problemloser Schwangerschaft fiel Helga während der Geburt ins Koma und verstarb, ohne noch einmal aufgewacht zu sein. Seither fühlte Erich sich schuldig – und er führte auch seinen Eintritt in den Polizeidienst ein wenig darauf zurück. Jedenfalls hatte er vom ersten Tag an beschlossen, die Verantwortung für Helgas Kind zu übernehmen, und inzwischen behaupteten alle seine Freunde, wie Erich zugestehen musste, nicht zu Unrecht, dass kein Vater ängstlicher um das Wohlergehen seines Kindes besorgt sein könne als er.
Vielleicht hing auch der Umstand, dass Erich nie geheiratet hatte, mit dieser Geschichte zusammen, die er selten in allen Details erzählte. Und wenn er es tat, so war dies das verlässlichste Zeichen dafür, dass er jemandem wirklich vertraute.
Erichs Frage, ob sich denn im Sender nun endlich die längst fällige und ihr immer wieder versprochene Fixanstellung abzeichne, verdankte sich ohne Zweifel den Überlegungen, die ihn vorhin so in Rage gebracht hatten. Babsi ließ ihn empört wissen, dass davon keine Rede mehr sei, ganz im Gegenteil, sie habe sich gestern sogar das Kabelselber kaufen müssen, damit sie die mit dem gleichfalls privat angeschafften Gerät aufgenommenen O-Töne überhaupt in den Studiocomputer überspielen und bearbeiten konnte. Erich verbiss sich den Einwurf, dass im Mediengeschäft die Sklavenwirtschaft nunmehr also schon dermaßen perfektioniert worden sei, dass die Ausgebeuteten auch noch für die Produktionsmittel sorgen müssten, mit deren Hilfe sie sich dann ausbeuten lassen durften. Welcher Unternehmer hätte zu Beginn der Industrialisierung davon auch nur zu träumen gewagt!
»Dabei sind allein die Computerprogramme dermaßen veraltet … mit geringen Investitionen wäre es möglich, unsere Beiträge in einem Bruchteil der Zeit einzuspeisen … aber das ist der Geschäftsführung egal, denn bezahlt wird ohnehin nicht nach Zeitaufwand, sondern nur der fertige Beitrag. Du glaubst gar nicht, wie scheißegal der Geschäftsführerin das alles ist! Der kann man hundertmal sagen, dass wir Stunden unbezahlt herumsitzen, um überhaupt an den Computer zu kommen. Noch schlimmer ist wahrscheinlich, dass denen die Qualität der Beiträge egal ist, verstehst du? Wie viel Sorgfalt man auf die Arbeit verwendet oder wie durchdacht sie ist, kümmert niemanden.« Entscheidend sei nur, dass möglichst keine Kosten entstehen. »Irgendwann in nächster Zukunft, sage ich dir, werden die Beiträge von Praktikanten kommen, die
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