Mordsonate
Er wollte eigentlich zu einem Scherz ansetzen, fügte dann aber mit belegter Stimme hinzu: »Wenn es noch so kurz ist, dass wir uns hören, Vera … es ist … so schön. Ruf bitte immer an, wenn es von dir aus möglich ist! Immer, Vera. Bitte! Auch wenn ich vielleicht nicht jedes Mal abheben kann.«
»Ja, Erich, das mache ich. Dann bis später.«
»Bis später, Vera. Und …«
»Ja?«
»Wir fliegen nach Griechenland, wenn das alles hier überstanden ist, abgemacht?«
»Abgemacht, Erich.«
Kaum dass der Chefinspektor wieder in seinem Büro war und von seinen Mitarbeitern grinsend empfangen wurde, erhielt Harlander auf seinem Handy eine SMS von seinem jüngsten Bruder, der ihm aus seiner Schulklasse heraus empfahl, doch einmal unter dem Stichwort »Salzburgfinger« einen Blick auf YouTube zu werfen. Am Schluss stand vor einem Smiley-Symbol »berufl.«.
»Klar«, sagte Harlander, »der Typ hat den Finger fotografiert oder gefilmt … er wollte wahrscheinlich auch den Polizeieinsatz filmen, aber bei dem Gewitter wäre das zu auffällig gewesen.« Er setzte sich an Erichs PC und hatte in kürzester Zeit den mit einem Handy verwackelt gefilmten Finger von Mozarts Geburtshaus auf dem Schirm. Aber das war nur eines von drei Kunstwerken zu diesem Thema: Beim nächsten hatte ein Schüler seinen eigenenFinger durch ein Tischtuch gesteckt, auf das er zuvor eine Blutlache aus Ketchup platziert hatte; der Winkel, aus dem nicht untalentiert gefilmt wurde, ließ einen bei schnellem Hinsehen zuerst tatsächlich an einen abgetrennt auf einer Tischplatte liegenden Zeigefinger denken. Beim letzten Filmchen ragte ein einzelner Finger aus einem Schulrucksack, daneben baumelte ein kleiner Teddybär-Anhänger.
Erich nickte und griff zum Hörer, als das auf seinem Schreibtisch stehende Telefon piepste.
»Laber. – Was?!« Der Chefinspektor schüttelte mehrmals ungläubig den Kopf, der ihn immer noch schmerzte. »Nein, das … das gibt’s doch nicht … von wem? E-Mail aus einem Internetcafé. Na sauber. Gut, danke, das ändert jetzt einiges. Natürlich! Wir sind schon dabei.«
»Einsatzmäßig, Chef?«
»Okay.«
Harlander grinste zufrieden und platzierte das Blaulicht auf dem Autodach. Es kam nicht allzu oft vor, dass sie damit samt Folgetonhorn durch die Stadt donnern konnten. Meist hingen sie doch, wie alle anderen Verkehrsteilnehmer auch, irgendwo im Stau.
Erich machte sich Vorwürfe – wie hatte ihm das entgehen können? Er ließ Wegers PKW untersuchen – und da gab es einen Zweitwagen. Noch dazu so einen! Aber kein Mensch konnte … doch, er hätte doch … Er hatte es dem Mann einfach nicht zugetraut, das war sein Fehler gewesen!
Mühlbauer riss ihn mit der Nachricht aus seinen Selbstanklagen, dass Weger wie erwartet nicht in der ENAG aufgetaucht sei. »Er hat jetzt offiziell Urlaub, Chef. Aber auch daheim ist er nicht. Wenn Sie mich fragen, Chef, für mich schaut das sehr danach aus … Sie verstehen?«
»Ja. Ist nicht gerade günstig für ihn, wie er sich verhält. Und seine Frau sagt, dass der Ford Transit auf dem Abstellplatz sein müsste, wo er immer steht?«
»Ja. Ihr Mann habe doch im Moment gar keinen Führerschein, dürfe also sowieso nicht fahren. Von der Wohnung aus könne sie allerdings nicht sehen, ob das Auto dort steht.«
»Sie soll unbedingt in der Wohnung auf uns warten«, sagte Erich. »Sie braucht nicht nachschauen gehen. Das machen wir gemeinsam.«
»In Ordnung, Chef. – Ach ja, ich habe nachgefasst … sie sind noch nicht ganz durch mit Wegers PKW, aber so wie es jetzt ausschaut, ist Birgit Aberger nicht in diesem Auto mitgefahren oder damit transportiert worden.«
»Wurde der Innenraum kürzlich gereinigt?«
»Nein, Chef, darauf weisen sie extra hin.«
»Gut. Wir sind bald bei Frau Weger.«
»Ich höre es«, sagte Mühlbauer und lachte.
Petra Weger hatte in der Nacht sehr lange auf die Rückkehr ihres Mannes gewartet, bis sie irgendwann doch eingeschlafen war und nicht mehr bemerkt hatte, wann Hans tatsächlich heimgekommen war. In der Früh hatte er verstört gewirkt. Nachdem Petras Wecker gepiepst hatte, hatte er sich zuerst nur in seinem Kopfpolster vergraben, um sich dann die leichte Sommerdecke bis über die Ohren zu ziehen, als sie ihn auf den Kastenwagen anredete. So heftig sie ihn auch gerüttelt und auf ihn eingeredet hatte, er war mit keiner Antwort herausgerückt. Erst recht nicht auf ihre ständig wiederholte Frage, warum er denn um Himmels willen mit dem Ford gefahren sei,
Weitere Kostenlose Bücher