Mordsonate
Festung noch bleicher als sonst auf ihrem Hügel zu hocken schien, als würde sie auf irgendetwas warten. Vielleicht darauf, dass er das Handtuch warf? Erichs Stimmung war noch schlechter als in der Nacht, und da Seidl noch fehlte und Koller darum gebeten hatte, seine Mutter im Spital besuchen zu dürfen, saß der Chefinspektor mit zwei Leuten in seinem Büro und schwankte, ob er sich nun über den nächtlichen Fehlalarm freuen oder sich darüber ärgern sollte, dass er seinetwegen um die Zeit bei extremem Sauwetter aus dem Bett geholt worden war. Weil er zu wenig geschlafen hatte, litt er unter starken Kopfschmerzen – die Aspirintablette zeigte noch gar keine Wirkung –, und so neigte er eher dazu, sich zu ärgern, da es ihnen ohnehin nicht erspart bliebe, auch die restlichen Finger noch zu finden. Und jeschneller das passieren würde, desto besser, sagte er sich, da sich daraus irgendwann doch einfach Anhaltspunkte für die Ermittlungen ergeben mussten.
Als Harlander meinte, dass nach den Fingern womöglich auch noch die verstümmelte Leiche des Kindes hinterlegt werden könnte, sagte Mühlbauer sarkastisch: »Wenn sich der Fall etwas in die Länge zieht, sind wir in der Festspielzeit. Vielleicht spießt er dann den Leib des toten, fingerlosen Klavierwunderkindes auf … für den Empfang der Festspielgäste …«
»Der Täter arbeitet fraglos an einer Inszenierung … und will auch Publikum dafür«, überlegte Erich laut. »Ob es nicht sogar zwischen dem Lausbubenstreich der Mozarttränen und dem Mord an Birgit einen Zusammenhang geben könnte?«
»Das wäre aber vergleichsweise sehr harmlos«, gab Mühlbauer zu bedenken. »Oder es war nur der Auftakt. Brauchbare Spuren fehlen uns in beiden Fällen.«
»Der hinterlegte Latexfinger von heute Nacht«, stellte Erich fest, »dürfte jedenfalls nur ein geschmackloser Scherz gewesen sein. Ohne jede Verbindung zu unserem Fall. Bei keinem der Finger wurde bisher bei uns angerufen. Nein, dieser Anrufer hat den Scherzartikel selbst hinterlegt und wollte das Spektakel.«
»Wahrscheinlich nach einem Lokalbesuch, Chef«, setzte Mühlbauer hinzu. »Unter Alkoholeinwirkung, würde ich einfach einmal behaupten. Nur hat ihm das Gewitter dann alles versaut …«
Erich nickte. Er sah wenig Sinn darin, dieser Angelegenheit große Aufmerksamkeit zu widmen. Der in der Tat erstaunlich echt aussehende Finger war vermutlich von einer jener Latexhände abgetrennt worden, mit denen Scherzbolde ihre Mitmenschen erschreckten, wenn sie siewährend der Faschingszeit unter den Deckeln von Mülltonnen hervorragen ließen. »Auch wenn der Finger untersucht wird und der Kollege Harlander nicht um den Bericht herumkommt, ich schließe eine Verbindung mit unserem Fall aus«, stellte Dr. Laber abschließend fest und ersuchte Harlander, ihm gelegentlich einen größeren Stadtplan zu besorgen, weil er sich darauf die Fundorte der Finger markieren wollte.
Die beiden Beamten blickten ihren Chef verblüfft an, als dessen Handy sich meldete – jedoch nicht wie gewohnt mit Eric Clapton, seinem Namensvetter, sondern mit einer Mozartsonate: Es funktionierte! Er hatte nach dem Fehlalarm nicht sofort wieder einschlafen können – war in Gedanken sehr bald bei Vera gelandet und auf die Idee gekommen, auf seinem Mobiltelefon die Klaviersonate mit Veras Nummer zu kombinieren. Ab sofort wurden ihm ihre Anrufe mit Köchelverzeichnis 457 signalisiert. Im Laufschritt verließ er mit dem Telefon sein Büro.
»Bist du im Stress, Erich?«
»Nicht so schlimm, Vera. Und du?«
»Schon etwas … aber … ich wollte unbedingt zumindest kurz … deine Stimme hören.«
»Vera … ich … du weißt …«
»Ja. Mir ergeht es genauso, Erich.« Sie lachte, bevor sie sagte: »Heute … ich habe heute Nacht von dir geträumt, Erich.«
»Ja? Hoffentlich etwas Angenehmes.«
»Etwas … Komisches«, antwortete sie und lachte noch einmal. »Ich habe mein großes Fahrradschloss auf den Gepäckträger geklemmt und nicht wie gewohnt am Rad befestigt. Du hast das schwere Bügelschloss dann wieder heruntergenommen, es in deiner Hand gehalten und bedeutungsvoll gemeint: ›Das brauchst du jetzt nicht mehr.‹Ich habe das sofort verstanden und bin ganz unbeschwert ohne Schloss aufgebrochen. Aber dann hast du mir noch nachgerufen: ›Wegschmeißen hättest du es nicht sollen!‹ Da meintest du dann aber offenbar das Kapuzenmann-Foto. Ich … Erich, ich bin so glücklich, dass wir uns kennen gelernt haben.«
»Und ich erst!«
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