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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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Schreibtisch Veras Stimme auf seiner Mobilbox zu hören: Sie habe die Zeitung überflogen – er solle sich das bloß nicht zu Herzen nehmen. Die parteipolitische Absicht, die dahinter stehe, sei doch für jeden halbwegs denkenden Menschen entlarvend offenkundig. Wenn er in den nächsten zehn Minuten Zeit habe, ginge sich bei ihr ein kurzes Telefonat aus.
    Vera nahm diese Attacken überhaupt nicht tragisch. Unbeschwert lachend sagte sie: »Jetzt erlebst du den Alltag eines Künstlers! Da fühlen sich auch immer alle berufen, drauflos zu kritisieren, egal, ob sie von der Sache eine Ahnung haben oder nicht.«
    »Aber ich bin Polizeibeamter«, entgegnete Erich etwas verzagt. »Ich muss mich vielleicht wirklich erst daran gewöhnen. Aber das müsste doch zu schaffen sein, nicht?«
    »Aber klar doch«, ermunterte sie ihn. »Wichtig ist, dass du deinen Fanclub hast, der deine Stärken kennt.«
    »Fanclub?«
    »Aber ja, Erich. Du hast doch mich!«
    Nach diesem Telefonat fühlte er sich viel entspannter und vor allem zuversichtlicher. Vera hatte völlig Recht, er durfte sich deswegen nicht gleich verrückt machen lassen. Was sowieso nur hieß, sich selbst verrückt zu machen, indem er für sich die in den Zeitungen abgedruckten Anwürfe ständig wiederholte, während die Zeitungen längst beim Altpapier gelandet waren oder mit ihnen schon das Hundefutter eingepackt wurde.
    Doch für Selbstquälereien würde der Chefinspektor, wie sich schon bald erweisen sollte, vorerst ohnehin kaum noch Zeit haben, so rasant, wie sich die Dinge im Mordfall Birgit Aberger entwickelten.
    Sie war da. Von irgendwoher aufgetaucht, führte diese unglaubliche Neuigkeit im Verwaltungsgebäude der ENAG dazu, dass sich auf den Gängen und in den Büros Grüppchen von Mitarbeitern bildeten, die ihre Köpfe zusammensteckten, um sich gierig mit dieser das tägliche Einerlei des Bürobetriebs außer Kraft setzenden Energie aufzuladen, die ihre Hochspannung innerhalb der Belegschaft von Kopf zu Kopf verbreitete: »Der Weger sitzt!« Alle genossen diese Nachricht, die einerseits für Schadenfreude sorgte – »Was nützt ihm jetzt sein enormes Gehalt, für das er keine andere Gegenleistung zu erbringen hatte als seine Parteimitgliedschaft!« –, andererseits allein durch den Grusel, den sie beinhaltete, größte Erregung auslöste bei denen, die sie immer wieder aufs Neue mit Kolleginnen und Kollegen besprachen: »Der Weger ist in U-Haft, weil er in Verdacht steht, das arme Mädchen umgebracht zuhaben, dieses Klavierwunderkind, das seine Tochter ausgestochen hat, und von dem jetzt überall in der Stadt abgetrennte Finger auftauchen.« – »Man getraut sich ja kaum noch irgendwo hinzuschauen, denn womöglich liegt auch dort schon ein Kinderfinger.« – »Und er soll das Kind nur deshalb umgebracht haben, damit seine Tochter an diesem neuen europäischen Talentewettbewerb teilnehmen kann.« – Unfassbar! Aber habe man denn von dem Schönling nicht immer schon etwas in der Richtung erwarten müssen? Sei es nicht nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es endlich so weit kam? Alle waren sie jetzt dieser Meinung – auch die, die sich beizeiten mit Hans Weger vorsichtshalber gut gestellt hatten, da nicht absehbar war, wie hoch dessen Partei denn noch aufsteigen werde, sodass man letztlich sogar gezwungen sein würde, zu ihr zu wechseln, damit die Karrierechancen intakt blieben.
    Es gab nur einen einzigen Menschen in der ENAG, der diese Neuigkeit nicht in vollen Zügen zu genießen vermochte: Gerlinde Brunner. Die Chefsekretärin musste sich zusammenreißen, damit man ihr nicht von weitem ansah, wie bedrückt sie war. Oder konnte sie darauf bauen, dass ohnehin alle um ihr kurzes Techtelmechtel mit dem Vorstandsdirektor für Sonderprojekte wussten – »Der Weger ist doch ständig im Büro der Brunner herumgehockt!« –, in dem sie fälschlicherweise den Grund für ihr Stimmungstief vermuten würden?
    In Gerlinde hatte die sensationelle Neuigkeit augenblicklich ein flaues Gefühl ausgelöst. Zweimal war sie inzwischen schon aufs Klo gerannt, seit sie von Hans’ junger Sekretärin telefonisch über die schreckliche Nachricht informiert worden war, und zweimal hatte sie befürchtet, sich übergeben zu müssen. Dann bekam sie plötzlich Durchfall. War diese Fischsemmel, die sie sich gesternnach Büroschluss kurz entschlossen gekauft hatte, vielleicht doch nicht ganz in Ordnung gewesen? Auch wenn sie diese Möglichkeit nicht ganz ausschloss, wusste Gerlinde

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