Mordsonate
bedankte sich bei Mühlbauer für den Kaffee. Und Erich sagte sachlich: »Gut, nehmen wir einmal an, jemand aus dem Umfeld der ENAG steckt tatsächlich dahinter: Glauben Sie im Ernst, diese Leute entführen ein Kind, hacken ihm die Finger ab und hinterlegen sie überall in der Stadt … nur weil sie Ihnen damit schaden wollen?«
»Ich … ich weiß doch auch nicht«, Hans Weger rang nach Luft, »vielleicht sind diese Schweine … sind die halt aufgesprungen, weil das alles doch so gut gepasst hat, mitBirgit und so … irgendjemand hat Birgit entführt und die haben ihre Chance erkannt! Dass sie den Weger loswerden können, wenn sie dafür sorgen, dass er in Verdacht gerät.«
Erich sah den nun offen verzweifelten Mann nachdenklich an.
»Die Fakten sprechen klar gegen Sie, Herr Weger. Über Ihre Tochter sind Sie der einzige Nutznießer des Verbrechens an Birgit Aberger. Wir müssen Sie hier behalten bis der Kastenwagen untersucht ist.«
Der Vorstandsdirektor begann zu zittern, verschüttete etwas Kaffee, bevor er den Becher abstellte, die Hände vors Gesicht schlug und hemmungslos zu weinen begann. Erich war peinlich berührt. Er wollte einfach nicht glauben, dass ihm mit Hans Weger ein dermaßen talentierter Schauspieler gegenübersaß, dem ein so glaubwürdiger Gefühlsausbruch gelang. Oder lebte der Mann längst in seiner erfundenen Geschichte, weil er nur auf diese Weise verdrängen konnte, wozu er sich hinreißen hatte lassen, um seiner geliebten Tochter einen Vorteil zu verschaffen?
Der Chefinspektor atmete mit einem Seufzen aus und stellte sachlich fest: »Herr Weger, wenn Sie nichts mit der Entführung zu tun haben, sind Sie nach Untersuchung des Kastenwagens frei. Vorerst besteht Verdunkelungs- und Fluchtgefahr.«
Der Mann wirkte verfallen. Er konnte offenkundig auf keine seiner antrainierten Verhaltensweisen mehr zurückgreifen und sagte jammernd: »Das … das ist doch noch … jetzt hier zu bleiben, das … das ist doch noch das kleinste Übel. Aber was … was soll nur meine Anja von mir denken, wenn mir so etwas vorgeworfen wird?« Darauf hin wurde er von einem noch heftigeren Weinkrampf geschüttelt als zuvor.
Als sich der Mann wieder etwas beruhigt hatte, sagteder Chefinspektor: »Wenn Sie es nicht waren, Herr Weger, dann werden wir das auch herausfinden. Und denken Sie über Ihre Feinde nach, auch außerhalb der ENAG. Wen haben Sie jemals so sehr verletzt oder gedemütigt, dass er so etwas tun würde?«
Da Weger nicht reagierte und Erich im Moment nicht wusste, was er noch vorbringen sollte, sagte er: »Und Ihr so genanntes Alibi für die Zeit des Verschwindens von Birgit … Sie wissen, dass das mehr als windig ist, der angebliche Anruf Ihrer Frau im Büro.«
Darauf erwiderte Weger unerwartet triumphierend: »Da … da werden Sie noch eine Überraschung erleben!«
»Wie meinen Sie das?«
»Wie ich es sage. Da können Sie sich auf eine Zeugin gefasst machen!«
»Eine Zeugin? Und warum nennen Sie uns die nicht sofort?«
»Warum, warum wohl? Weil ich verheiratet bin. Eine Familie habe, die mir über alles geht! Weil mein Kind bald zum Wettbewerb … dafür braucht Anja Geborgenheit. Und wir sind eine glückliche Familie!«
Erich war immer noch überrascht, wie schnell die Stimmung des Mannes umgeschlagen war. Sollte er doch ein Schauspieler sein? Wie auch immer, insgeheim war Dr. Laber froh über die neu aufgeflackerte Aggressivität des Mannes – mit ihr ließ sich leichter umgehen als mit emotionalen Zusammenbrüchen. »Wie Sie wollen«, sagte er. »Mein Kollege wird Sie über Ihre Rechte aufklären und über alles andere informieren.«
Trotzig entgegnete Hans Weger: »Glauben Sie denn wirklich, ich wäre heute von selbst hereingekommen, wenn da … wenn ich auch nur das Geringste damit zu tun … da wäre ich doch längst abgehauen!«
Erich war diese Ungereimtheit natürlich auch schon aufgefallen – aber jemand, der so an seinem Kind hing, würde es vor dem Wettbewerb sicher nicht alleine lassen. Könnte es vermutlich überhaupt nie verlassen. Er wollte sich aber auf keine weitere Diskussion mit dem Mann einlassen und bedeutete Mühlbauer, das Ende der Einvernahme festzuhalten. Dem Kontrollinspektor oblagen nun alle Formalitäten, die mit der Verhängung einer Untersuchungshaft zusammenhingen, und Dr. Laber empfand seine Position, die ihm das ersparte, einmal mehr als angenehm, zumal jeder einzelne Ermittlungsschritt exakt dokumentiert und schriftlich dargestellt werden
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