Mordspech (German Edition)
schön. Vielleicht reicht der ja auch. Wer weiß.« Er seufzt, und sein Blick geht in die Ferne wie bei einem Seemann. »Ich denke, man kann mehr machen. Mal raus in den Grunewald, Tiere beobachten, Ritter spielen, Baden am Wannsee, was weiß ich? Kinder lernen durch Erleben.«
»Festgefügte Rituale sind aber wichtig«, weiß Jana Heidenreich stirnrunzelnd. »Kinder sind nur begrenzt flexibel und keine Erwachsenen, die einen steten Fun-Faktor brauchen.«
»Aber das weiß ich doch, Jana.« Karl schenkt ihr sein offenstes Lächeln. »Ich sage ja nicht, dass wir die Rituale abschaffen sollen. Ich rede nur davon, sie – gelegentlich – zu brechen.«
»Und mit Uta ist das nicht zu machen«, erkundigt sich Carlos Lederer.
Karl schüttelt den Kopf. »Ich hab so oft mit ihr darüber geredet. Aber sie verfolgt da ihr starres Prinzip.« Er hebt resignierend die Hände. »Was soll ich machen? Sie ist die Chefin!« Er lehnt sich zurück. »Wie gesagt, ich kann nicht mehr. Es macht mich fertig, immer nur gegen Wände anzurennen. Ich muss meinen Weg gehen.«
Gut, hätten wir jetzt sagen können, dann geh deinen Weg. Stattdessen:
»Stimmt, ich hatte letztens mit Uta darüber diskutiert, ob die Kinder nicht gemeinsam schwimmen lernen sollen«, sagt Sabine Goltermann. »Ich hatte da ein Schwimmbad, das geschlossen werden soll. Das hätte man prima nutzen können …«
»Sabine«, rufe ich, denn ich erinnere mich an die Diskussion, »das Problem war nicht das Schwimmbad. Das Problem war, wer die Verantwortung übernimmt, falls einem Kind was passiert!«
»Das hätten wir schon hinbekommen«, meint Karl.
»Tatsächlich?«
Ich bin da sehr skeptisch, denn weder Karl noch Uta sind Schwimmlehrer. Und ich verstehe vollkommen, wenn eine Erzieherin dieses Haftungsrisiko nicht übernehmen will. Karl dagegen macht sich darüber keinen Kopf. Was völlig in Ordnung ist. Es ist das Privileg der Jugend, keine Bedenken zu haben. Aber wenn es um meine Kinder geht, gehe ich lieber auf Nummer sicher. Ich habe Zoé und Liam in einem Verein angemeldet, damit sie schwimmen lernen. Inzwischen haben sie schon das Seepferdchen.
»Es ist nicht die Aufgabe unserer Erzieher, den Kindern Schwimmen beizubringen!«
»Ja, und dann fallen halt auch Bootsfahrten aus«, kontert Karl und spricht damit die letzte Kinderladenfahrt an. Da wollte er mit den Kindern ein Ruderboot ausleihen, um Piraten zu spielen, doch Uta war dagegen, weil die meisten der Kinder eben noch nicht schwimmen können. Und es war völlig vernünftig, die Sache ausfallen zu lassen. Doch jetzt, so wie Karl es darstellt, wirkt es wie Engstirnigkeit.
Am Ende geht es nur noch darum, wie unflexibel Uta ist. Jeder wartet mit Episoden auf, wo Uta mal dies nicht wollte, dann wieder jenes nicht zuließ und dies oder das verhinderte. Der Elternabend entwickelt sich zu einem Tribunal für eine Angeklagte, die nicht mehr anwesend ist, und Karl verfolgt das alles mit lächelnder Miene. Für ihn läuft es prächtig und nur noch auf eine Frage hinaus.
Sie stellt Carlos Lederer: »Nun, Karl, angenommen, du bleibst in unserem Kinderladen und Uta muss gehen. Wie willst du das alles alleine stemmen?«
»Wir stellen noch jemanden ein«, antwortet Karl selbstbewusst. »Wenn ich die Leitung des Kinderladens übernähme, wäre ja meine bisherige Stelle vakant. Und ich wüsste auch, wer dafür in Frage käme.«
Natürlich, denke ich. Ann-Kathrin. Seine Musik-Kommilitonin.
»Ann-Kathrin«, sagt Karl. »Sie hat schon in den Sommerferien mit den Kindern gearbeitet. Wie ich finde, sehr gut. Die Kinder lieben und kennen sie. Da ist mir überhaupt erst klar geworden, was alles machbar ist.«
»Aber weder du noch Ann-Kathrin habt eine Ausbildung als Erzieher«, begehre ich auf, werde aber sofort übertönt.
Uta habe ihre Ausbildung ja noch in der DDR gemacht, wird mir gesagt, und die sei eben nicht mehr zeitgemäß. Selbst Monika ist der Meinung, dass man der Jugend eine Chance geben solle.
»Vielleicht bewähren sie sich ja.«
»Ich will nicht, dass sich jemand an meinen Kindern bewährt!«
»Beruhige dich«, Monika nimmt mich tröstend in den Arm. »Unsere Kinder sind ja nur noch ein Jahr bei den ›Stoppelhopsern‹. Das werden sie schon noch durchhalten. Auch ohne Uta, findest du nicht?«
Ich bin außer mir. Ist eigentlich irgendwem klar, was man Uta antut? Dass eine gute Erzieherin ihren Job loswird? Die sich nichts hat zuschulden kommen lassen, die während ihrer ganzen Tätigkeit bei uns noch
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