Mordswald - Hamburgkrimi
anderen Mitglieder der Clique aufspüren. Entweder
versucht Vogler, uns an der Nase herumzuführen, oder …"
Lina wusste, was er meinte. War Vogler sich bewusst, dass er
selbst das Opfer der Vergewaltigung gewesen war, oder war er tatsächlich davon
überzeugt, damals nur am Telefon Zeuge geworden zu sein?
In ihrem Büro ließ sie den Blick über die Notizblöcke,
Formulare, Broschüren und vollgekriztelte Zettel auf ihrem Schreibtisch
schweifen, bis ihr Blick auf einem blauen Blatt Papier hängenblieb. Das stammte
nicht von ihr, da war sie sich ganz sicher. Sie schnappte sich den Zettel,
überflog die wenigen Zeilen und runzelte die Stirn. So saß sie immer noch da,
als Max ins Zimmer kam und ein leichtes Pfefferminzaroma zu ihr wehte.
"Hier ist dein Kaffee … was ist denn los?"
Wortlos streckte sie ihm den blauen Notizzettel entgegen.
Betreff: Industriespionage/Birkner: Bei mindestens zwölf der
zwanzig Unternehmensberatungen, die Markman Solutions engagiert hat, ist ein
gewisser Holger Thies als Geschäftsführer eingetragen. Hoffe, das hilft! Grüße
aus dem zweiten Stock, Marita Schön.
Inzwischen war es Abend geworden, aber Hanno und Sebastian
waren immer noch damit beschäftigt, alte Zeugen von damals aufzutreiben. Alex
hatte die Aufgabe, heutige Freunde und Bekannte von Daniel Vogler ausfindig zu
machen, doch da war, wie er sagte, nichts zu holen. Der Nummernspeicher seines
Handys enthielt gerade mal fünf Nummern: von seiner Großmutter, von Franziska
Leyhausen, einer Autowerkstatt, einem gewissen Gregor Triantaphilidis, der sich
als Arzt für Allgemeinmedizin entpuppte, sowie die Durchwahl von Professor
Thelmann an der Uni.
Hanno und Sebastian hatten etwas mehr Glück gehabt und drei
ehemalige Schulkameraden von Daniel Vogler und Philip Birkner gefunden, die
bestätigten, dass Vogler von der Clique um Julia Munz und Philip Birkner
drangsaliert worden war. Eine Frau hatte jedoch hinzugefügt, dass Daniel bei
weitem nicht der Einzige gewesen sei, der unter der Clique zu leiden gehabt
hätte. Nicht
einmal seinen eigenen Bruder hat dieser Philip in Ruhe gelassen. Ein richtiger
Widerling war das . Die Clique selbst schien sich allerdings in alle Winde
verstreut zu haben.
"Von Christian Bischoff haben wir eine Adresse in Hessen
aufgetrieben, aber bislang niemanden erreicht", erklärte Hanno. "Er
bezieht Harz IV, und ich habe die Kollegen da unten gebeten, den Mann zu suchen
und zu befragen. Von Miriam Haase wissen wir, dass sie zum Studieren nach
Amerika gegangen ist, aber da verliert sich ihre Spur. Ihre Eltern leben zwar noch
hier in Hamburg, aber sie haben wohl vor etwa zehn Jahren zum letzten Mal etwas
von ihrer Tochter gehört, damals hatte sie sich gerade irgendeiner
fundamentalistischen Sekte angeschlossen." Er warf einen Blick auf seine
Unterlagen. "Maike Haubach ist mehrfach vorbestraft, vor allem kleinere
Eigentumsdelikte. Sie ist drogenabhängig und lebt in Berlin, derzeitiger
Aufenthaltsort unbekannt."
Nach dieser Aufzählung sahen sich alle an. "Die Rache
des Schicksals?", schlug Alex vor. "Alle, die damals an der Vergewaltigung
beteiligt waren, sind im Leben gescheitert?"
"Oder tot, wie Julia Munz und Philip Birkner",
bemerkte Sebastian.
"Dabei hat allerdings jemand dem Schicksal kräftig
nachgeholfen."
Hanno studierte schweigend die immer länger werdende Liste
der Zeugen, hob seufzend den Kopf und schaute in die Runde. "Sieht so aus,
als hätten wir den Täter, aber so gut wie nichts gegen ihn in der Hand, solange
die DNA-Spuren noch nicht ausgewertet sind." Er fuhr sich über das Kinn.
"Max, was ist eigentlich mit diesem Niels Hinrichsen? Das ist doch ein
möglicher Tatzeuge, oder?"
Max nickte langsam. "Stimmt. Er könnte den Täter gesehen
haben, als er mit diesem Aronstab vom Bach zurückgekommen ist."
"Und er ist immer noch nicht vernehmungsfähig?"
"Soweit ich weiß, nein", erklärte Max. "Aber
ich kümmere mich darum."
Hanno seufzte. "Weiß der Teufel, was der erzählt, wenn
er den Mund wieder aufbekommt. Womöglich wieder nur irgend einen Unsinn über
Ritter mit Schwertern."
17
A us der offenen Zimmertür
drang ein abgehacktes Lachen, zwei Räume weiter hörte Max eine Frau um Hilfe
rufen. Sie schien den monotonen Singsang bereits seit Stunden zu intonieren,
vielleicht seit Tagen: "Hilfe, hilfe, hilfe, hilfe." Er holte tief
Luft, doch angesichts dieses geballten Leids fiel es selbst ihm schwer, seine
Gelassenheit zu bewahren. Er warf einen Blick auf die junge Frau
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