Mordswald - Hamburgkrimi
sehr wohl ein
ernstes Karrierehindernis sein kann. Frauen haben es ohnehin schon schwer
genug, in Führungspositionen zu gelangen, aber können Sie sich eine lesbische
Vorstandsvorsitzende, beispielsweise bei Siemens, BMW oder der Deutschen Bank
vorstellen?"
Lina schüttelte den Kopf.
"Sowohl Evelyn als auch ich streben eine Karriere in der
freien Wirtschaft an. Es ist also völlig ausgeschlossen, dass wir jemals
zusammenleben oder gar heiraten." Sie seufzte und strich mit dem Finger
über das leere Glas vor sich auf dem Tisch. "Aber als alleinstehende Frau
ist es mindestens genauso schwierig, aufzusteigen. Was meinen Sie, wie viele
Frauen, und auch Männer, in unserer Lage eine Scheinpartnerschaft eingehen?
Einen guten Freund, eine gute Freundin, die zu offiziellen Anlässen als
Verlobte oder Verlobter herhalten muss? Als ich Philip Birkner kennenlernte,
unterlag ich, wie vermutlich viele Menschen, seinem Charme. Sie haben ihn nie
kennengelernt, aber ich versichere Ihnen, er hatte etwas an sich, dass man
– und frau – weiche Knie bekam." Sie lächelte dünn. "Ich
bin zwar lesbisch, aber das bedeutet nicht, dass ich völlig unempfindlich für
männliche Reize wäre. Philip interessierte mich tatsächlich, und er verhehlte
nicht, dass ich ihm ebenfalls gefiel." Sie lachte kurz auf. "Wobei
ich vermute, dass ihm eher mein Geld und mein Name als meine Persönlichkeit
gefielen. Ich sprach mit Evelyn darüber. Ich zog unauffällig Erkundigungen über
ihn ein. Ich kannte seine Firma, schließlich hatte er mich als Unternehmensberaterin
engagiert, weil er expandieren wollte. Er sah gut aus, hatte gute
Umgangsformen, war intelligent – und träumte davon, es möglichst weit
nach oben zu schaffen. Ich suchte einen Mann, den ich meinen Geschäftspartnern
und meiner Familie als Mann an meiner Seite präsentieren konnte." Sie
schwieg kurz. "Außerdem wollte ich ein Kind. Ich hatte mit Evelyn schon
öfter darüber gesprochen, aber in unserem Bekanntenkreis gab es einfach keine
passenden Männer. Ich ließ mich also mit ihrem Wissen und ihrer Billigung auf
Philip Birkner ein." Sie schwieg erneut. "Es war … eine interessante
Erfahrung, aber ich war auch froh, dass ich relativ schnell schwanger wurde und
ihn deshalb auf Distanz halten konnte. Er zeigte großes Verständnis und ging
ausgesprochen liebevoll mit mir um. Überraschenderweise war Philip ganz aus dem
Häuschen, als er erfuhr, dass er Vater werden würde. Damit hatte ich nicht
gerechnet, aber es bestärkte mich – und Evelyn - in dem Vorhaben, ihn zu
meinem offiziellen Partner zu machen. Noch vor Leons Geburt begannen wir, eine
Wohnung zu suchen." Sie lächelte amüsiert. "Anfangs war er noch
verunsichert, wenn der Makler uns eine Wohnung zeigte, diese Größenordnung war
er einfach nicht gewohnt. Aber Philip war ein Chamäleon und passte sich schnell
an." Katja Ansmann schüttelte den Kopf. "Es war wirklich erstaunlich,
aber nach kurzer Zeit merkte ihm niemand mehr seine kleinbürgerliche Herkunft
an." Sie sah an Lina vorbei und winkte den Kellner herbei. Beide Frauen
bestellten eine Latte macciato, dann nahm Katja Ansmann den Faden ihrer
Erzählung wieder auf. "Es gelang ihm auch wunderbar, zu verdrängen, dass
er in unserer Wohnung quasi nur zur Untermiete lebte. Natürlich bin ich die
alleinige Eigentümerin", sie zögerte kurz, "was allerdings niemand
weiß, außer Evelyn und jetzt Ihnen."
Lina nickte, sagte aber nichts. In ihrem Beruf kam es häufig
vor, dass ihr Geheimnisse anvertraut wurden, von denen sonst niemand wusste.
Der Job als Polizistin war nichts für Plaudertaschen.
"Philip störte das nicht. Er sprach ungeniert von seiner Wohnung, und ich merkte rasch, wie gern er damit prahlte. Vor seinen Eltern,
seinem Bruder und dessen Frau, vor seinen Angestellten und Freunden."
Katja Ansmann unterbrach sich kurz, als ihr Kaffee gebracht wurde. "Sie haben
sich doch unsere Wohnung angesehen. Zweifellos erinnern Sie sich an Philips
Arbeitszimmer?", fragte sie Lina, während sie den Milchschaum ungesüßt
unterrührte. Lina nickte erneut, ohne ein Wort zu sagen. "Dort hat er auch
geschlafen. Ausnahmslos. Kurz bevor wir zusammengezogen sind, habe ich ihm
reinen Wein eingeschenkt. Wir würden zusammenwohnen, zusammen ausgehen,
zusammen unseren Sohn erziehen, aber darüber hinaus würde nichts laufen. Dafür
war jeder völlig frei, was die Wahl weiterer Freundschaften betraf. Philip
willigte ein. Natürlich willigte er ein, denn diese Vereinbarung brachte
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