Mordswald - Hamburgkrimi
anders gewollt. Aber wenn ihr nichts Eindeutiges findet,
kommt Jensen heute noch raus, ist das klar?"
Am späten Samstagnachmittag war in der Gegend um den
Eppendorfer Markplatz nicht besonders viel los. Die meisten der schickeren
Geschäfte hatten schon geschlossen, für den abendlichen Kneipenbummel war es
noch zu früh. Lina und Max schlenderten die Straßen entlang, sahen sich die
Schaufenster an und schwiegen. Es hatte aufgehört zu regnen und war schwül und
drückend. Lina zog ihre Jacke aus und band sie sich um die Hüfte.
Sie begannen im Almira, einer der Kneipen, die Frank Jensen
öfter aufsuchte, möglicherweise auch am Donnerstagabend. Oder auch nicht. Denn
in der kleinen Kneipe erinnerte sich niemand, den Mann auf dem Foto, das Max
herumzeigte, am fraglichen Abend gesehen zu haben. Weder die Frau hinterm
Tresen noch der Wirt noch ein Stammgast, der angab, so gut wie jeden Abend hier
zu sein.
"Ich weiß, Willi", sagte die Tresenkraft zu dem
Endsechziger mit grauen Stoppeln im Gesicht, "ich frag mich schon lange,
wieso du eigentlich noch zum Schlafen nach Hause gehst." Die Frau sah aus
wie Ende fünfzig, war vermutlich Mitte vierzig und schien zum Inventar zu
gehören. Die Einrichtung war schäbig, die Getränkekarte überschaubar und zu
essen gab's Schmalzbrot, Bockwurst und Gulaschsuppe. Doch das Almira war eine
Raucherkneipe, weshalb es Frank Jensen vermutlich ab und zu hierher verschlug.
"Aber gesehen haben Sie den Mann schon einmal?",
hakte Max nach. Die Frau sah sich das Foto noch einmal an. "Doch, ja,
klar. In der letzten Zeit war er öfter mal hier. Trinkt sein Bier, sagt aber
nie viel."
Lina betrachtete den Namen des Lokals, der in geschwungener
Schrift über dem Tresen an die Wand gemalt war. Wie war dieser Laden bloß zu so
einem Namen gekommen? "Bierhimmel" oder "Zur Krone" hätten
besser gepasst als das leicht exotische Almira.
Der nächste Laden war das Tropicana. Hier hielt der Name
eher, was er versprach: brasilianisches Flair, brasilianische Musik,
brasilianische Bedienung, zumindest der Optik nach. Das Lokal war groß und
hallenartig, eher Cocktailbar als Kneipe, und die Terrassentüren zum kleinen
Vorgarten standen weit offen. Lina schlug vor, hier etwas zu trinken. Sie würde
Max einladen.
"Das macht die Leute redseliger", erklärte sie, der
nicht entgangen war, dass die Menschen im Almira eher abweisend reagiert
hatten, nachdem sie gesagt hatten, wer sie waren und was sie wollten.
"Meinetwegen", erwiderte Max. "Ich nehme einen
Orangensaft."
"Oh, machst du heute mal einen drauf?", fragte sie,
doch ihr Kollege hob nur die Schultern.
Lina entschied sich für ein Bier, bezahlte die Getränke und
hielt Max sein Glas hin. Sie kletterte auf einen der Barhocker und sah sich um.
Es war noch nicht besonders voll, und die junge Frau hinterm Tresen schaute
aufmerksam in die Runde. Sie war höchstens dreiundzwanzig, hatte
milchkaffeebraune Haut, Korkenzieherlocken und ein einfach umwerfendes Lächeln.
Lina winkte sie heran und schob ihr ein Bild von Frank Jensen aus besseren
Tagen über den Tresen, auf dem er wesentlich besser in Schuss war als heute.
"Sorry, hast du diesen Mann schon mal gesehen?",
fragte sie die Frau. "Wobei er heute etwas … kaputter aussieht."
Die junge Frau beugte sich vor und betrachtete das Bild.
"Den hier?" Sie zuckte bedauernd die Schultern.
"Tut mir leid, nie gesehen. Ist das dein Kerl? Hat er dich sitzen
lassen?"
Lina zögerte einen Moment, dann nickte sie. "So ähnlich.
Ich muss wissen, ob er Donnerstagabend hier war."
Die junge Frau sah zu Max hinüber, der unbeteiligt an seinem
O-Saft nippte, und wieder zu Lina. Die Neugier stand ihr ins Gesicht
geschrieben.
"Das hier", sagte Lina und klopfte Max auf die
Schulter, "ist mein großer Bruder." Max verschluckte sich fast an
seinem Saft. Die Frau hinterm Tresen kicherte.
"Könnte einer von deinen Kollegen den Mann
kennen?", fragte Lina und tippte auf das Foto vor sich. "Oder dein
Chef?"
"Vielleicht." Sie schaute sich suchend um und
winkte schließlich einen etwa dreißigjährigen, schwarzhaarigen Mann herbei, der
gerade auf der Terrasse bediente. Er bewegte sich wie ein Tänzer, als er näher
kam, und sein Lächeln reichte bis an die schmalen Koteletten. Seine Kollegin
flüsterte ihm etwas zu, und er zwinkerte Lina zu, ehe er sich über das Bild
beugte, das immer noch auf dem Tresen lag.
"Du bist also auf der Suche nach einem Mann?" Er
hatte einen deutlichen Akzent, der portugiesisch sein könnte,
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