Mordswald - Hamburgkrimi
die Augen übergegangen, Alex hatte
nur stumm den Kopf geschüttelt und Sebastian hatte sie zuerst für eine
Verdächtige gehalten, die irgendwie aus einem der Vernehmungsräume entwischt
war.
Max hatte gerade den Mund geöffnet, um etwas zu sagen, als
eine Frau auf der anderen Seite des Tresens sich zu ihnen herüberbeugte und
sagte: "Hey, André sagt, ihr wollt mich was fragen?"
Max blickte auf. Die Frau vor ihm hatte ihre langen, blonden
Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden und die kleinen, kräftigen Hände
auf den Tresen gelegt. Das musste Michele sein, die Frau, die am Donnerstag
hier gearbeitet hatte und sich möglicherweise an Frank Jensen erinnern konnte.
Lina brütete dumpf vor sich hin, also nickte Max und schob der Frau Jensens
Foto hin. "Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?"
Michele musste nur einen kurzen Blick auf das Bild werfen,
dann nickte sie. "Klar, das ist Frank. War in der letzten Zeit öfter hier,
hat immer mehr getrunken, als ihm guttat." Sie schaute auf. "Was hat
er denn angestellt?"
"Nichts. Meine Schwester sucht ihn." Max lächelte.
Lina hob den Kopf und sah ihn an. "War er vorgestern auch hier?"
"Vorgestern … Donnerstag. Ja, ich glaube … doch klar. Er
hat sich mit einem anderen Stammgast unterhalten, ich glaube, die haben sich
angefreundet, jedenfalls unterhalten die sich immer, wenn sie sich hier
treffen, obwohl Frank sonst lieber seine Ruhe haben will. Dirk, der andere, war
Donnerstag auch hier. Er hat mir einen ausgegeben, weil er eine Woche Urlaub
hat."
Lina räusperte sich. "Das heißt, er ist verreist?"
Michele nickte. "Wollte nach Freiburg, seine Familie
besuchen oder so." Misstrauisch sah sie von einem zum anderen.
"Wissen Sie zufällig, wie wir diesen Dirk erreichen
können? Oder wie er mit Nachnamen heißt?"
Michele schnappte sich einen Lappen und fing an, den Tresen
abzuwischen, obwohl er nicht schmutzig war. "Wieso wollen Sie das denn
wissen? Sind Sie von der Polizei?"
"Oh Mann, das wird nie was bei mir mit dem
Undercovereinsatz." Lina zwinkerte der Frau zu. "Ja, wir sind von der
Polizei. Wir ermitteln in einem Mordfall, bei dem ein Mann ums Leben kam und
eine Frau und einen kleinen Sohn hinterlassen hat. Wir wollen nur wissen, ob
dieser Mann", sie tippte auf das Foto, "Donnerstag hier war und wann
er gegangen ist. Kennen Sie ihn genauer? Immerhin wissen Sie, wie er
heißt."
Michele schaute nachdenklich von Lina zu Max. "Ich hab
mich ein paarmal mit ihm unterhalten, wenn nicht so viel los war. Er hat mir
erzählt, dass er irgendwas mit Computern macht, und dass er reingelegt wurde
oder so." Sie zuckte mit den Achseln. "Er trinkt ziemlich viel. Ich
sag ihm immer, er soll bloß aufpassen, aber er winkt dann nur ab und sagt, es
sei sowieso alles egal. Seit ein paar Wochen ist es richtig schlimm, er lässt
sich immer mehr gehen. Donnerstag hat er erzählt, dass seine Frau ihn
sitzengelassen hat."
"Das hat er Ihnen erzählt?"
"Nö, das hat er Dirk erzählt, ich hab's nur zufällig
mitbekommen, als ich den beiden ein neues Bier gebracht hab." Sie zögerte
kurz, dann erklärte sie: "Am Anfang hat er, also Frank, noch ab und zu
einen Cocktail bestellt, oder einen Grappa, aber in letzter Zeit hat er
meistens nur Bier genommen. Ist billiger."
"Können Sie sich erinnern, wann Frank gekommen und wann
er gegangen ist? Und ob er allein gegangen ist?", fragte Lina.
"Gekommen … weiß nicht, gegen halb acht, acht
vielleicht. Irgendwann ist Dirk gegangen, und Frank hat noch ein, zwei Bier am
Tresen getrunken. Er war ziemlich dicht, als er schließlich aufgebrochen ist …
gegen elf, halb zwölf vielleicht."
"Ist er zu Fuß gegangen? Oder hat er sich ein Taxi rufen
lassen?"
Michele schüttelte den Kopf. "Zu Fuß. Jedenfalls haben
wir kein Taxi bestellt. Kann natürlich sein, dass er draußen eins angehalten
oder sich mit dem Handy selbst eins gerufen hat."
"War Frank denn noch in der Lage, zu Fuß nach Hause zu
gehen?"
Michele zuckte die Achseln. "Er war ziemlich betrunken,
das schon, und konnte schon nicht mehr ganz gerade gehen. Aber er wusste noch,
wer er war und wo er war und so." Sie straffte fast unmerklich die
Schultern. "Sonst hätten wir ihn nie allein gehen lassen. Wir tragen
schließlich Verantwortung für unsere Gäste."
Lina und Max
wechselten einen raschen Blick, dann nickte Max der Frau zu. "Gut, Frau …
tut mir leid, ich kenne nur Ihren Vornamen, Michele. Sie haben uns sehr
weitergeholfen." Er war höflich wie immer, und Micheles
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