Mordswald - Hamburgkrimi
machen. Es
wurde abgemacht, dass Lina sich bei der Bullerei bewirbt und, falls sie
genommen wurde, vier Wochen durchhält. Sie musste hoch und heilig schwören,
dass sie bei der Bewerbung nicht mogeln würde, um durchzufallen. Wenn sie es
danach vier Wochen durchhielt, würden alle, wie sie mit am Tisch saßen, eine
Riesenparty für sie steigen lassen. Wenn sie vorher das Handtuch warf, würde
sie einen Monat lang im Dojo das Klo putzen.
"Am Anfang habe ich das alles gar nicht ernst genommen,
ich hätte ohnehin nie gedacht, dass die mich nehmen. Ich meine, meine Mutter
hat früher Häuser besetzt und ist immer noch aktiv, du weißt schon, St. Pauli,
Bündnis gegen Gentrifizierung und so. Aber trotzdem … ich hab die Aufnahmetests
für die Kripo bestanden." Sie lächelte schief, "für die Schutzpolizei
bin ich ja etwas zu kurz geraten, aber bei der Kripo haben ja sogar Zwerge eine
Chance. Tja, und dann fing die Ausbildung an."
"Und als deine vier Wochen um waren?", fragte Max
schließlich und bestellte noch einen Saft und ein Bier.
"Da gab's 'ne fette Party. Meine Kumpels hatten eine
ganze Kneipe angemietet, jeder wusste Bescheid, ich war nur noch die Bullette,
und alle lachten sich schlapp, weil wir, ausrechnet wir, es geschafft hatten,
jemanden bei den Bullen einzuschleusen."
Max legte den Kopf schräg, wie er es immer tat, wenn er über
etwas, was der andere gesagt hatte, gestolpert war. "Das klingt, als
hättet ihr in der Polizei den Feind gesehen."
Lina sah ihn erstaunt an. "Natürlich! Was hast du denn
gedacht? Sonst wäre diese Wette doch ein Witz gewesen. Der Verein sitzt direkt
in St. Pauli, mitten auf dem Kiez. Die Hälfte der Leute war irgendwo politisch
aktiv." Sie zuckte die Schultern. "Die Bullen waren das Feindbild
Nummer eins. Damit bin ich groß geworden, und so ist es bei einigen im Verein
noch heute." Sie nahm einen Schluck Bier und schwieg, die Ellenbogen auf
den Tresen gestützt.
"Und warum bist du geblieben?", fragte Max nach
einer Weile leise.
Lina schwieg weiterhin. Einen Moment lang wunderte sie sich,
dass sie hier so mit Max in der Kneipe sitzen und ihm erzählen konnte, was sie
noch keinem anderen Kollegen erzählt hatte. Und worüber sie überhaupt nur mit
wenigen Menschen sprechen konnte. Schließlich sagte sie: "Die Ausbildung
war überraschend interessant, also blieb ich nach den ersten vier Wochen erst
mal dabei. Bei einem meiner ersten Einsätze während der Ausbildung haben wir
ein Bordell durchsucht. Wir fanden drei Mädchen aus Sri Lanka, die garantiert
noch keine achtzehn waren. Sie waren illegal im Land, natürlich, und sprachen
kein Wort Deutsch … außer ein paar Brocken Fachsprache." Sie lachte bitter
auf. "Ich sah die Angst in ihren Augen. Ich hörte die Sprüche der
Kollegen, nach dem Motto 'Schade, dass wir im Dienst sind'. So gut ich konnte,
versuchte ich, die drei Mädchen zu beruhigen. Versuchte, Englisch mit ihnen zu
reden, was sie etwas besser verstanden, immerhin besser als mancher Kollege.
Aber am Ende wurden sie trotzdem abgeführt. In Handschellen." Sie zuckte
die Achseln. "Danach bekam ich Ärger mit meinem Ausbilder. Ich hätte mich
eigenmächtig in die Ermittlungen eingemischt. Zu viel Eigeninitiative gezeigt.
Ich erklärte, dass mir die Mädchen einfach nur leidgetan hätten. 'Wenn Sie bei
der Polizei bleiben wollen', bekam ich zur Antwort, 'sollten Sie ganz schnell
lernen, dass solche Leute es genau darauf abgesehen haben.'" Lina holte
tief Luft. "Ich glaube, das war der Moment, in dem ich mir sagte: 'Ich
bleibe.' Ich habe die Mädchen gesehen. Habe ihre Angst gesehen. Sie wollten
mich nicht um den Finger wickeln, da bin ich mir sicher. Um solchen Mädchen
helfen zu können, habe ich bei der Polizei ganz andere Möglichkeiten, als wenn
ich mich in irgendwelchen Initiativen gegen Zwangsprostitution und Frauenhandel
engagiert hätte." Sie griff erneut zu ihrem Bier und nahm einen großen
Schluck. "Also bin ich geblieben. Auch wenn manche Kollegen damit ein
Problem haben."
Max schwieg. Er wusste, dass sie es nicht leicht hatte. Für
die meisten Polizisten, die er kannte, war sie die Exotin, der man neugierig,
misstrauisch oder auch mit offener Abneigung begegnete, zumal sie selten mit
ihrer Meinung hinter dem Berg hielt. Er erinnerte sich noch gut an ihren ersten
Arbeitstag im Morddezernat. Lina hatte eine schwarze Jeans, derbe Stiefel und
einen Kapuzenpulli getragen, in den stachelig gestylten Haaren blitzten
neongrüne Strähnchen auf. Hanno waren fast
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