Mordswald - Hamburgkrimi
tatsächlich glaubt, seine Tochter könnte
etwas mit dem Tod des Mannes zu haben."
"Hat dir nie jemand erklärt, dass die Polizei solche
Auskünfte generell nicht erteilt, schon gar nicht an Angehörige der
Beteiligten? Oder hast du bisher einfach immer bekommen, was du wolltest?"
"Ich weiß nicht, was du damit andeuten willst, Lina. Ich
will einfach nur dir und meinem Freund einen Gefallen tun. Wenn ich wüsste,
dass die Frau nicht verdächtigt wird, könnte ich Johannes vielleicht einen
kleinen Tipp geben, damit er sich wieder beruhigt." Er machte eine Pause.
"Nicht, dass er noch seine Beziehungen spielen lässt. Bisher ist er sehr
diskret gewesen."
"Und wieso hat er dir davon erzählt?"
"Weil ich sein Freund bin."
Die Art und Weise, wie ihr Vater das Wort Freund aussprach,
verursachte ihr einen Brechreiz. Sie verzog angewidert das Gesicht, riss sich
jedoch zusammen und fragte möglichst sachlich: "Womit verdient dein Freund eigentlich sein Geld?"
Ihr Vater zögerte, dann sagte er: "Er ist Eigentümer
einer alteingesessenen Hamburger Privatbank. Fünfte Generation." Er
schwieg erneut. "Was ich dir jetzt sage, ist niemandem außer einer
Handvoll Menschen bekannt. Ich hoffe, du erkennst daran, wie sehr ich dir
vertraue." Lina hörte ihn tief Luft holen. "Das Bankhaus Ansmann
& Sohn steht kurz vor der Insolvenz, auch wenn das letzte Wort noch nicht
gesprochen ist. Sie haben in der Finanzkrise schwere Verluste erlitten und sich
bis heute nicht davon erholt. Verstehst du, Johannes braucht gerade seine ganze
Kraft, um das Familiengeschäft zu retten! Ich würde ihn gerne entlasten und ihm
sagen können, dass er sich um Katja keine Sorgen zu machen braucht."
Linas Gedanken überschlugen sich. Warum teilte ihr Vater ihr
diese brisante Neuigkeit mit? Seine Behauptung, es sei ein Zeichen seines
Vertrauens, war ein Witz, und sie fühlte sich fast beleidigt, weil er zu
glauben schien, sie würde diesen Köder schlucken. Möglicherweise war die
Nachricht gar nicht so vertraulich. Oder noch nicht einmal wahr. Aber ihr Vater
glaubte offensichtlich, sie würde ihm im Austausch gegen diese Information
geben, was er von ihr verlangte: dass sie Katja Ansmann von der Liste der
Verdächtigen strich. Es war ein klarer Beweis dafür, wie wenig er seine Tochter
kannte, denn jetzt würde die Lebensgefährtin des Toten erst recht auf ihrer
Liste der Verdächtigen bleiben. Ganz oben und rot unterstrichen. Lina merkte,
dass ihr Vater auf ihre Antwort wartete.
"Wenn Katja Ansmann unschuldig ist, hat sie nichts zu
befürchten", sagte sie. "Das kannst du deinem Freund gerne
ausrichten, falls er nicht schon allein auf diesen Gedanken gekommen ist."
"Ach Lina, ich wünschte wirklich, wir könnten …"
"Es ist mir egal, was du dir wünschst." Sie legte
auf.
In der Wohnung war es still, und auch von draußen drangen nur
die gemächlichen Sonntagmorgen-Geräusche herein. Hin und wieder ein Auto, leise
Musik aus dem Nachbarhaus, in dem dieser notorische Frühaufsteher wohnte, hier
und da eine plappernde Kinderstimme. Lachen. Lina stand auf und ging nackt, wie
sie war, zum Schlafzimmer. Lutz hatte sich auf die Seite gedreht und schnarchte
leise. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie wieder zu ihm ins Bett schlüpfen
sollte, entschied sich jedoch dagegen. Der Anruf ihres Vaters hatte ihr die
Stimmung gründlich verdorben, sie war hellwach und mit den Gedanken schon
wieder bei der Arbeit.
Also duschte sie ausgiebig in dem kleinen Bad neben der
Küche. Während das warme Wasser auf ihren Körper prasselte, ließ sie sich den
Besuch in der Wohnung in Rothenbaum durch den Kopf gehen. Hatten sie sich
vielleicht doch unhöflich benommen? Völlig ausgeschlossen, jedenfalls, was Max
anging, und sie selbst hatte kaum ein Wort mit der Frau gewechselt. In dieser
morgendlichen, sanften Sonntagsstimmung konnte Lina sich zwar eingestehen, dass
sie Frau Ansmann von Anfang an nicht so neutral gegenübergestanden hatte, wie
sie es als professionelle Ermittlerin sollte, doch der Anruf ihres Vaters hatte
ihrem Argwohn neue Nahrung gegeben, und sie merkte, dass sie Feuer gefangen
hatte. Nach dem Abtrocknen schlüpfte sie in frische Klamotten, dreiviertellange
Jeans und T-Shirt. Sie kochte Kaffee, machte Milch zum Aufschäumen warm und
ging schließlich mit zwei Bechern ins Schlafzimmer. Sie stellte die Becher auf
dem alten Koffer ab, der ihr als Nachttisch diente, setzte sich auf die
Bettkante und strich Lutz sanft über die strähnigen Haare. Ein
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