Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mordwoche (German Edition)

Mordwoche (German Edition)

Titel: Mordwoche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wierlemann
Vom Netzwerk:
ihrer Verpackung und legte sie an. Ja, er würde dafür sorgen, dass seine Familie das Haus und ihr altes Leben behalten konnte. Er musste wieder nach Deutschland. Es gab keine andere Lösung!
     
    „Papa, wo bist du?“ Gerade noch rechtzeitig konnte Stefano das Präzisionsgewehr wieder einschlagen und schnell die leeren Weihnachtskartons davor stellen. Wie lange war er schon hier unten im Keller? Stefano konnte es nicht sagen. Seine Kinder mussten in der Zwischenzeit heimgekommen sein. „Hast du das Bambinello Gesú gefunden? Darf ich es in die Krippe legen?“ Matteo, einem aufgeweckten Jungen von zehn Jahren, war die Vorfreude auf das Weihnachtsfest schon anzusehen. Er konnte nicht mehr ruhig stehen bleiben. Seine beiden Kinder waren Stefanos ganzer Stolz. Matteo war mit seinen dunklen Locken, die ihm bis in die Stirn hingen, das Ebenbild seines Vaters. Er war genauso schlank und sportlich wie er und es machte ihm überhaupt nichts aus, dass sein Vater keine Arbeit mehr hatte, denn so hatte er mehr Zeit für ihn. Von den finanziellen Sorgen, die seine Eltern bedrückten, hatte Matteo nichts mitbekommen. Und das sollte auch so bleiben.
     
    „Nimm das Jesus-Kind mit nach oben und leg es schon mal in den Stall, Matteo. Ich räume noch ein wenig auf und komme dann nach.“ „Ok, mache ich. Ach, Mama hat gesagt, dass ich dir sagen soll, dass du noch den Wein fürs Abendessen mitbringen sollst.“ Stefano wartete noch, bis er hörte, dass Matteo die Treppe hochrannte. So eine Schrecksekunde! Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sein Sohn ihn mit einer Waffe in der Hand überrascht hätte! Stefano atmete tief durch. Er packte das Gewehr jetzt wieder ordentlich ein und verschnürte es. Die Kartons stellte er ebenfalls wieder in den Schrank hinein, den er vorsichtshalber abschloss. Den Schlüssel steckte er in die Tasche.
     
    Matteo hatte sich vor den Weihnachtsbaum auf den Bauch gelegt und bewunderte die Krippe. Auch mit zehn Jahren noch übte sie eine ungeheuere Anziehungskraft auf ihn aus. Er hatte die Krippenbeleuchtung angeschaltet und das Jesus-Kind in die Krippe gelegt. Stefano war froh, dass sein Sohn das Bambinello Gesú an seinen Platz gebracht hatte. Wenn er an den Zwischenfall im Keller und seine Reisepläne nach Deutschland dachte, fühlte sich Stefano besudelt. Es war ganz richtig, dass ein Kind das Jesus-Kind bettete. Aus der Küche hörte Stefano seine Frau und seine Tochter Giulia gemeinsam singen. Der Heilige Abend konnte kommen.
     

- 7 -
     
    Heute blieben die Hefte des Lesezirkels allesamt unbenutzt auf ihrem Stapel liegen. Die Auswahl der Lektüre für das Warten auf den mit Kunstleder bespannten Stühlen oder für das Ausharren unter der Trockenhaube war groß. Für jeden Geschmack gab es das passende Heft. Auf den Titeln der Society-Blätter lächelten die jungen Hoheiten des europäischen Hochadels jede noch so diffamierende Behauptung über sich einfach weg. Diese Magazine versprachen nicht nur schnelle Diäterfolge mit zweifelhaften Rezepturen, sie ermöglichten der meist weiblichen Leserschaft nach beendeter Lektüre, ganz zufrieden zu sein mit dem eigenen durchschnittlichen Spießerleben. Hier erfuhr man die Wahrheit: Die Reichen und Schönen waren nur reicher und schöner, aber keineswegs glücklicher. Dieser Trost reichte immerhin bis zum nächsten Waschen-Schneiden-Föhnen im Salon König.
    Selbstverständlich hielten Gerda und Otto König aber auch Lesestoff mit mehr inhaltlicher Substanz für ihre Kunden bereit. Wer wollte, konnte sich über geschmackvolles Wohnen, schnelle Autos oder Kindererziehung informieren. Eines allerdings konnten die Hefte des Lesezirkels nicht ersetzen. Die Kunden kamen zwar wegen ihrer Haare in den Salon König, aber das stimmte nur zum Teil. Eigentlich ging es hier um viel mehr als das. Hierher kam man, wenn man etwas wissen oder etwas loswerden wollte. Mit dem Friseur konnte man alles besprechen. Otto und Gerda König lebten für diese Philosophie und sie wussten, dass ihre Kunden sie besonders für ihre Verschwiegenheit schätzten. Was trotzdem aus dem Salon König nach außen drang, waren die Neuigkeiten, die von den Kundinnen zwischen Waschbecken und Trockenhaube hinter vorgehaltener Hand und einem „Gell, von mir weißt du das aber nicht!“ ausgetauscht wurden.
     
    Gerda König wusste um die Redseligkeit einiger ihrer Kundinnen, mischte sich allerdings nicht ein. Sie spielte in einer ganz anderen Liga. Ihr war das persönliche Gespräch

Weitere Kostenlose Bücher